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Der umstrittene ungarische Regierungschef Viktor Orbán will in Brüssel Wogen glätten.

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Wien/Budapest - Als Reaktion auf drohende Sanktionen durch die EU-Kommission hat die ungarische Regierung am Montag ein neues Sparpaket vorgelegt. Premier Viktor Orbáns Team will nicht weniger als fünf neue Steuern einführen. Zudem wird der Zuschuss zu Medikamenten gekürzt, Gemeinden müssen kräftig sparen. Insgesamt will die Regierung 2013 bis zu 2,2 Milliarden Euro einsparen, schon heuer sollen es eine halbe Milliarde sein.

Zu den neuen Steuern zählt die Einführung einer 0,1-prozentigen Finanztransaktionssteuer. Allerdings: Auch wenn sie Finanztransaktionssteuer genannt wird, hat die Orbán-Variante mit dem in der EU diskutierten Modell (Besteuerung des Aktien-, Derivatehandels) wenig bis nichts gemein. In Ungarn wird die Steuer bei der Einzahlung und Behebung von Bargeld fällig. Auch bei Überweisungen und Bezahlung per Karte muss die Abgabe bezahlt werden. Die Steuer wird 2013 eingeführt und soll dem Staat 228 Milliarden Forint (ca. 760 Millionen Euro bringen). Mit der Maßnahme wird die im internationalen Vergleich hohe Bankensteuer, die 2014 ausläuft, ersetzt.

Telekomsteuer

Daneben wird eine Telekomsteuer eingeführt: Jede angefangene Minute beim Handygespräch und jede SMS soll mit zwei Forint besteuert werden (0,0067 Euro). Diese Abgabe soll die umstrittene Sondersteuer für Telekomunternehmen ablösen. Auch der Abschluss von Versicherungen (Haushalt, Pkw) wird mit einer Sondersteuer belegt, eingeführt wird eine Lkw-Maut. Für Budapest ist eine "Stausteuer", also eine Art Pkw-Abgabe geplant.

Ungarn reagiert mit den Kürzungen auf die Androhung der EU, dem Land 2013 die Auszahlung von Fördermitteln aus dem Kohäsionsfonds zu streichen. Die Kommission hat den Schritt angedroht, weil Ungarn wiederholt die Maastricht-Kriterien verletzt. Die EU-Förderungen in Ungarn entsprechen derzeit pro Jahr rund 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Da wenig im Land investiert wird, "ist die Regierung Orbán von diesen EU-Mitteln abhängig", sagt Sandor Richter vom Wiener Osteuropainstitut WIIW. Die Kommission wird das Sparpaket prüfen und entscheiden, ob die Strafmaßnahme ausgesetzt wird, hieß es im Büro von EU-Regionalkommissar Johannes Hahn in Brüssel.

Neue Offensive

Während an der Budgetfront eine Annäherung zwischen der EU und Ungarn möglich ist, hat Orbán am Montag eine weitere Offensive gestartet, um die drei Vertragsverletzungsverfahren gegen sein Land zu stoppen. Heute, Dienstag, wird er mit EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso in Brüssel zusammentreffen. Die Kommission hat gegen Ungarn ein Verfahren wegen der Verletzung der Unabhängigkeit der Notenbank gestartet. Brüssel ist zudem die Frühpensionierung tausender Richter und die Absetzung des Ombudsmannes für Datenschutz ein Dorn im Auge.

Erst wenn Ungarn in diesen drei Fragen nachgibt und Gesetze nachbessert, sollen Verhandlungen über einen von Budapest gewünschten EU/IWF-Kredit beginnen. Ungarn hatte entsprechende Hilfen Ende 2011 beantragt.

In die Verhandlungen involvierte Personen glauben allerdings nicht an rasche Fortschritte: Das Notenbankgesetz wurde zwar in einigen Punkten bereits geändert. Doch auf Kerneinwände dagegen hat Budapest bisher nicht reagiert. Kritisiert wird unter anderem, dass die Regierung einen zusätzlichen Notenbankdirektor ernennen will.

Klagen

Die EU könnte schon diesen Mittwoch Klage gegen Ungarn beim Europäischen Gerichtshof einreichen. Trotzdem halten Insider einen Deal für möglich: Demnach könnten die Vertragsverletzungsverfahren von den Gesprächen über den Notkredit abgekoppelt werden.

Orbán zeigte sich am Montag neuerlich stur und verlangte Verhandlungen ohne jede Vorbedingungen von EU und Währungsfonds. Trotz mehrmaliger Anfragen beim ungarischen Kabinett war am Montag für den Standard niemand erreichbar. (András Szigetvari, DER STANDARD, 24.4.2012)