Verteidiger der israelischen Nahostpolitik werfen selbst vernünftigen Kritikern häufig antisemitische Motive vor. Das ist zwar meist unberechtigt. Doch immer wieder gelingt es linken Intellektuellen, mit unüberlegten Aussagen genau diesem Klischee zu entsprechen.

Das tat etwa Günter Grass, als er in seinem Skandalgedicht Israel eine Politik unterstellt, die das "iranische Volk auslöschen könnte" - eine Variante des "Ihr seid die neuen Nazis"-Vorwurfs. Und noch ärger demaskiert sich der norwegische Friedensforscher Johan Galtung, wenn er den Mossad hinter dem Breivik-Massaker vermutet, das Verbrechen als Freimaurerverschwörung darstellt und die Lektüre der "Protokolle der Weisen von Zion" empfiehlt, der schlimmsten antisemitischen Fälschung der Geschichte.

Galtung, Stammgast in Schlaining und anderen heimischen Friedensforen, war schon früher für exzentrische Ansichten bekannt. Aber seine Ausritte passen in ein breiteres Muster hinein: Kritische Geister fühlen sich in ihrem Antifaschismus so gefestigt, dass sie nicht merken, wie sie beim Thema Israel die Grenzen der Zivilisation überschreiten. Und andere, die sonst bei jedem rechten Rülpser aufheulen, bleiben stumm, wenn die Ungeheuerlichkeit aus dem antiimperialistischen Lager kommt.

Solche Verirrungen erschweren jede ernsthafte Nahostdebatte. Und sie machen deutlich, wie tief der Antisemitismus-Bazillus immer noch in unserer Gesellschaft sitzt. (Eric Frey, DER STANDARD, 3.5.2012)