Viele Jahre liegen zwischen ihnen, ihre Handschrift ist aber dennoch vergleichbar: Elsa Schiaparelli...

Foto: Contrasto / Guido Harari, Redux

...und Miuccia Prada.

Foto: Condè Nast / George Hoyningen-Huené

Keine Angst vor Kringel: Eine Vorliebe für barocke Muster eint Miuccia Prada (ein Model aus ihrer Frühjahrskollektion 2011)...

Foto: David Sims

...und Elsa Schiaparelli (Wallis Simpson in ihrer Mode).

Foto: Cecil Beaton

Selbst wenn die Geschichte nicht wahr sein sollte, so ist sie doch gut erfunden: Als Kind, so erzählte Elsa Schiaparelli, habe sie ständig gehört, sie sei hässlich. Und daher habe sie überlegt, wie sie sich schöner machen könne, und von einem Gesicht voller Blumen geträumt. Die Blumensamen, die sie sich dann in Ohren, Nase und Rachen schob, hätten von einem Arzt entfernt werden müssen.

Elsa Schiaparelli war eine Exzentrikerin - nicht so sehr in ihrer Lebensführung als in ihrem Hang, die Gestalt und das Aussehen von Menschen zu verändern. Als Kind probierte sie es - mit zweifelhaftem Erfolg - an sich selbst aus, als Erwachsene baute sie darauf eine Karriere auf, die seinerzeit ihresgleichen suchte. Neben Coco Chanel war Schiaparelli die größte Modemacherin der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Anders als ihre Widersacherin, die in vielem das komplette Gegenteil von Schiaparelli war, ist die 1890 in Rom geborene Couturière heute allerdings kaum mehr präsent. Obwohl Versuche gestartet wurden, Labels unter ihrem Namen zu lancieren, kennt die breite Öffentlichkeit ihren Namen nicht.

Kooperationen mit Künstlern

Etwas anders verhält es sich in der Modeszene, in der "die Schiap" (gestorben 1973) als eine der großen Wegbereiterinnen einer Mode gilt, die sich über herkömmliche Ästhetiken hinwegsetzt. Ging es Coco Chanel immer um schlichte, tragbare Eleganz, war Schiaparelli gänzlich anders gestrickt. Sie entwarf ein Kleid, auf das ein von Salvador Dalí entworfener Hummer gedruckt war, ein anderes Kleid polsterte sie so aus, dass es wie ein Skelett anmutete, ein Hut bekam die Form eines Schuhs, ein Pulli sah so aus, als wäre der Träger nackt. Schiaparelli war aber alles andere als eine Ulknudel. Hinter vielen ihrer Designs steckten Kooperationen mit Künstlern, vor allem mit Dalí und Jean Cocteau, es ging ihr darum, Errungenschaften des Surrealismus auch für die Mode zu nutzen - ohne dabei die Frauen zu verkleiden. Schiaparelli hatte einen zutiefst modernen Zugang zur Mode, einen verspielten, ikonoklastischen, einen, auf den auch der Begriff "postmodern" passen würde.

Insofern mag es folgerichtig erscheinen, dass das New Yorker Metropolitan Museum of Art in das Zentrum seiner diesjährigen großen Modeausstellung ausgerechnet die Paarung Schiaparelli und Miuccia Prada stellt. Die beiden größten italienischen Modedesignerinnen des 20. Jahrhunderts (Schiaparelli lebte ab ihrem 22. Lebensjahr allerdings erst in London, dann in New York und schließlich den größten Teil ihres Lebens in Paris) trennen zwar viele Jahrzehnte (Prada wurde 1949 in Mailand geboren), ihre ästhetischen Überzeugungen berühren sich bei näherer Betrachtung aber in überraschend vielen Punkten. Dies aufs Tapet zu bringen ist bereits eine Leistung dieser Ausstellung - und das, bevor sie noch eröffnet wurde. Modeausstellungen kämpfen nämlich immer gegen eine sonderbare Form der Vergesslichkeit an.

Brüche als Stil

In ihrem krampfhaften Bemühen, jede Saison aufs Neue wieder anders und frisch zu sein, ist die Mode sehr gut darin, die eigenen Wurzeln auszulöschen, die eigenen Inspirationen zu tarnen und mögliche Vorgänger zu verschweigen. Die Pointe dieser Ausstellung, die sich bei zwei Designerinnen auf eine rare Tiefenbohrung einlässt, liegt nun gerade darin, dass mit den Künstlerfreunden Schiaparelli und Prada zwei radikale Neuigkeitsfetischistinnen der Mode im Zentrum stehen. Jede Saison von neuem warf Schiaparelli ihre Ästhetik um, bei Miuccia Prada verhält es sich nicht anders. Ist in der einen Saison alles in schwarze Spitze getaucht, zeigt sie in der nächsten Pettycoats wie aus den 50er-Jahren. Diese radikalen Schwünge, die von der Branche im Saisonabstand dann kopiert werden, haben Prada den Ruf einer radikalen Visionärin eingebracht.

Das geht natürlich auf Kosten eines klar identifizierbaren Stils. Bei Schiaparelli war das nicht viel anders. Während Chanel auch heute noch für ihr Kostüm steht, verbindet man mit Schiaparelli im allgemeinen nur das Wort "Shocking". So hieß ihr überaus erfolgreiches Parfum, "Shocking Life" nannte Schiaparelli auch ihre Biografie. Aber nicht etwa, weil darin irgendwelche persönlichen Eskapaden, Affären oder Skandale vorkamen (auch bei Prada gibt es die nicht), sondern weil Schiaparelli die Öffentlichkeit regelmäßig mit bisher Ungesehenem oder Unerhörtem konfrontierte.

Wohlproportionierte Form

Die wilden Mustermixe, die Umdeutung von als "hässlich" apostrophierter Dinge, die Übernahme männlich codierter Kleidungsstücke in das Bekleidungs-Universum der Frauen verbindet Schiaparelli und Prada, wobei Letztere den beherzten Zugriff ihrer Vorgängerin auf die Spitze treibt. Das Prinzip, Dinge, die eigentlich nicht zusammengehören, zu mischen, kann als das hervorstechendste Stilprinzip von Miuccia Prada bezeichnet werden. Es sind die Brüche, die schrägen Zugänge, denen dann allerdings eine wohlproportionierte Form gegeben wird, die bei dieser in einem durch und durch bourgeoisen Mailänder Umfeld aufgewachsene Designerin so markant sind.

Auch Schiaparelli kommt übrigens aus einer wohlbehüteten Familie, ihre Mutter war eine neapolitanische Prinzessin, ihr Vater ein bekannter Wissenschafter. Die Pariser Intellektuellen- und Künstler-Zirkel waren ihr Zuhause, sie warteten gespannt, welche Absonderlichkeiten sich die Schiap als Nächstes einfallen ließ - oder welches Motiv sie als Nächstes auf ihre berühmten Pullover drucken ließ.

Der Bruch mit den Erwartungen zelebrierte sie als den größten Luxus - genau so, wie dies Miuccia Prada einige Jahrzehnte später tut. (Stephan Hilpold, Rondo, DER STANDARD, 4.5.2012)