Hier war einmal das Dombeisl.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Das Nachfolgelokal trägt zwar denselben Namen, die einst tiefgründig wienerische Atmosphäre aber lässt sich nicht einmal mehr erahnen.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Die Ecke Schulerstraße/Domgasse befindet sich in Rufweite des Stephansdoms, ist dem Herzen der Stadt aber auch sonst sehr nah. Dass hier, zwischen Touri-Cafés und Souvenirläden ein in jeder Hinsicht tiefgründiges, urwienerisches Beisl überlebte, in dem von diskreten Spiegeltrinkern bis zum einsamen Muatterl ein zusehends an den Rand gedrängter Teil der Innenstadt weiter dahinvegetieren konnte, gab Anlass zur Hoffnung - in Zeiten von Starbucks, Plachutta und sonst wie systemisierter Gastrofreundlichkeit schon gar.

Dann aber wurde das Dombeisl an einen Anwalt verkauft, der es samt wunderbar erhaltenem Hinterzimmer entkernen ließ, mit Eichenverkleidung der protzbiederen Art austapezierte und auch sonst dafür sorgte, dass vom fragil verwitterten Flair nur ja nichts überblieb. Alles sehr proper, dank grellgrünlicher Sparbeleuchtung auch abends taghell - und komfortabel. Endlich müssen auch die besonders wohlständig geformten unter den Gästen sich nicht mehr sorgen, dass die Bankerln auf die Dauer etwa hart werden könnten: Sie verfügen nunmehr über feiste, ja geradezu rückenspeckdicke Kissen.

Riedl-Klassiker

Für die Küche wurde Harald Riedl engagiert, der nicht zufällig als ein Lieblingskoch dieser Art gut gepolsterter Spesenesser, Amtsträger h. c. und sonstiger Systemerhalter gelten darf. Seine Küche ist auf schmeichelweiche Art nobel. Dass gefüllte Nudeln einerseits und seine berühmt molligen Mousses, Savarins und sonstigen Gelatineorgien anderseits als Riedl-Klassiker gelten, ist insofern nicht überraschend. Nach Jahren im (unlängst entschlafenen) Riegi hatte es ihn ins Vincent verschlagen, bevor er im Ringstraßenhotel der Radisson-Kette unterkam - dem aber das Restaurant just da wegen einer Neuplanung abhandengekommen war.

Das herausgeputzte Ex-Beisl passt aber gar nicht schlecht, um sich an Riedls über Jahrzehnte kaum veränderter Nobelküche zu laben. So findet sich sein zu Recht legendäres, gebackenes Parmesanei mit roh marinierter Makrele kaum verändert auf der Karte. Savarin vom Spargel mit Morcheln und Scampi (die sich am Teller als Zuchtgarnelen erweisen) mag eine Retro-Kreation von vorgestern sein, aber er hat diese hinterfotzig samtige Geilheit, der man sich kaum entziehen kann. Auch die Jungkrautravioli zum zwar knusprig, aber etwas übergarten Zander sind bissfest wie je und verfügen über einen seidigen Schmelz, wie ihn nur Riedl draufhat. Die Weinkarte ist üppig und wird von Sommelier Patrick Hopf kundig verwaltet. Was immerhin die Option eröffnet, sich diesen verhunzten Ort schönzutrinken. (Severin Corti, Rondo, DER STANDARD, 4.5.2012)