Wie können wir der Wunschvorstellung einer erfolgreichen Karriere näherkommen? Wie erreichen Unternehmen das Ziel wirtschaftlicher Prosperität und steigender Gewinnzahlen? Am besten, indem wir uns mit Präsentismus auseinandersetzen. Präsentismus ist der anhaltend gefühlte Drang, der Arbeitspflicht nachkommen zu müssen, auch wenn dies unter eingeschränkter Leistungsfähigkeit und bei Gefährdung der psychischen und physischen Gesundheit geschieht.

Dieser Drang führt zum Arbeiten bei Erkrankung, zum Verzicht auf Urlaub und Freizeit oder zur andauernden Verfügbarkeit via Handy und E-Mail. Laut den im vergangenen Jahr von uns befragten Experten des Personal- und Gesundheitsmanagements wird Präsentismus sowohl durch individuelle arbeitsbezogene Verhaltensmuster als auch durch die Unternehmenskultur und das Führungsverhalten beeinflusst. Dazu kommen noch gesellschaftliche Veränderungen wie die Beschleunigung im Arbeitsleben und die technologiegestütze Kommunikation, die zu jeder Tages- und Nachtzeit möglich ist.

Wer ist wann weg?

Waren die Bemühungen der Unternehmen bisher vermehrt darauf gerichtet, Absentismus, also den Krankenstand, zu verhindern, zeigen neue wissenschaftliche Erkenntnisse, dass dies unerwünschte Folgen nach sich ziehen kann: Die erbrachte Leistung der Mitarbeiter wird nicht erhöht, sondern langfristig betrachtet stark eingeschränkt. Gerade hoch engagierte und leistungswillige Mitarbeiter verzichten zugunsten der vermeintlich selbstwertsteigernden und karrierefördernden Leistungserbringung auf einen ressourcenschonenden Umgang mit ihren Potenzialen.

Sei da, sei immer fit

Die Unternehmen fördern dieses Verhalten mitunter durch einen leistungsorientierten Führungsstil und die Tabuisierung von Schwäche und Krankheit. Und dies, obwohl sie dadurch nicht nur den Mitarbeitern, sondern auch dem Unternehmen immens schaden. Iverson & Krause (2007) schätzen den Anteil von Präsentismus an gesundheitsbezogenen Produktivitätsverlusten auf 65 Prozent. Dieser ist fast doppelt so hoch wie der Anteil an Produktivitätsverlusten, die durch Absentismus (35 Prozent) verursacht werden.

Die langfristigen Folgen von Präsentismus wurden von den befragten ExpertInnen als dramatisch eingeschätzt und reichen von der Chronifizierung von psychischen und körperlichen Beschwerden bis hin zu einem massiven Verlust an "Human"-Ressourcen. Gerade in Zeiten des "War for talent" können es sich die Unternehmen im wahrsten Sinne des Wortes nicht leisten, die engagiertesten Mitarbeitenden aufgrund von jahrelanger Überbelastung zu verlieren.

In der zweiten Whitehall-Studie hatten laut Kivimäki (2005) Mitarbeitende, die in drei Jahren keinen Krankenstand in Anspruch nahmen, ein doppelt so hohes Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden als jene, die moderate Fehlzeiten aufwiesen. Sie wollen, dass Ihre Mitarbeiter leistungswillig und leistungsfähig bleiben? Dann schwenken Sie doch den Blick mal weg von denen, die abwesend sind, hin zu denen, die nie abwesend waren. (Eva-Maria Jungreuthmayer, Boris Zalok, DER STANDARD, 5./6.5.2012)