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Kämpfer der mit Al-Kaida verbündeten "Ansar al-Sharia"-Miliz in Jaar

Foto: Reuters

AQAP (Al-Qaida in the Arabian Peninsula) ist also, wenn man den von den USA aufgedeckten Attentatsplänen gegen ein Flugzeug Glauben schenkt, jener Zweig des Terrornetzwerks, der auch noch Ressourcen und Energie für den Kampf außerhalb der islamischen Welt aufbringt. In der Tat ist Al-Kaida, deren Niedergang ja sogar Osama Bin Laden selbst beklagt hat, zumindest im Jemen momentan auf der Siegerspur. Sie kontrolliert Territorium über längere Zeit hinweg (seit einem Jahr die Stadt Jaar in der Proving Zinjibar), greift die jemenitische Armee immer öfter gleichzeitig an mehreren Orten an und gewinnt Schlachten.

Sie hat sich in den Bruchlinien des Landes festgesetzt, so ist ihr Zulauf und Unterstützung sicher, ohne dass sie groß den Jihad ausrufen muss. Und sie zieht die USA auf ein neues Schlachtfeld, wieder eines, auf dem kein Sieg zu erringen ist. Der verstärkte US-Drohnenkrieg nach pakistanischem Vorbild hat bisher zwar etliche AQAP-Führer ins Jenseits befördert, es wachsen jedoch immer wieder neue nach - und die zivilen "Kollateralschäden" überzeugen viele Jemeniten erst recht, dass sie Teil eines größeren Kampfes sind.

Damit ist im Jemen ziemlich alles so eingetroffen, wie es befürchtet wurde: Der arabische Frühling hat zwar Langzeitpräsident Ali Abdullah Saleh zum Abdanken gezwungen, die Probleme des Landes aber womöglich noch verschärft. Neben der Revolution gegen ein undemokratisches Regime hat man es im Jemen ja gleich noch mit mehreren Konflikten zu tun: mit dem Aufstand der zaiditisch-schiitischen Huthis im Nordjemen - der im Kontext eines iranisch-saudischen Kalten Kriegs mehr als nur lokale Bedeutung hat -, mit der Sezessionsbewegung im Süden und damit eng verwoben mit jihadistischen und tribalen Erhebungen.

Hadi wird Saleh nicht los

Trotz Salehs von der Protestbewegung vielbejubelten Abgangs ist nicht einmal der arabische Frühling "gewonnen". Gemäß einer Initiative der Golfkooperationsstaaten (Saudi-Arabien, Kuwait, Bahrain, Katar, Vereinigte Arabische Emirate, Oman) ist Saleh ja zugunsten seines Vizepräsidenten Abd Rabbo Mansur al-Hadi zurückgetreten, der Ende Februar durch ein Plebiszit als Präsident bestätigt wurde. In der Praxis ringt Hadi - der mit Saleh immer eng verbunden war - darum, Kontrolle über den Staatsapparat zu bekommen, an dessen strategischen Positionen Saleh-Leute sitzen. Das betrifft besonders den Sicherheitsapparat und die Armee.

Zwar hat Hadi zirka 20 Toppositionen neu besetzt, aber an Salehs Sohn, Ahmed, beißt er sich die Zähne aus: Der ist weiter Kommandant der Republikanischen Garde und der Special Forces. Auch Salehs Neffe Yahya bleibt als hoher Militär im Amt, während ein anderer, Tarik, nach langem Ringen seinen Kommandoposten bei der 3. Brigade der Präsidentengarde aufgeben musste - worauf Ahmed, sich völlig über den Wunsch Hadis hinwegsetzend, versuchte, Tarik zum Chef der Miliz seines Vaters zu machen. Auch die Entfernung des Luftwaffenchefs - ebenfalls ein Verwandter - war mit Turbulenzen verbunden, die sogar zur zeitweiligen Schließung des größten Frachtflughafens des Landes führten.

Es ist ganz klar, dass der alte Saleh im Hintergrund noch immer die Fäden zieht. Er hat das Amt aufgegeben, aber nicht die Macht im Staat, und er sagt das auch offen: Im April forderte er, dass seine Loyalisten in führenden Posten verbleiben müssten, um die "Stabilität" des Landes zu garantieren. In einem Blog eines - offenbar nicht ganz unabhängigen - Journalisten klingt das so: "General Ahmed Saleh sagt, dass seine (sic!) Armee die verfassungsmäßige Legitimität unter der Führung des neuen gewählten Präsidenten Hadi vor Spielern und Machtgierigen schützen will."

Fluch und Segen der Stämme

Unter diesen Umständen wurde eine Nationale Dialogkonferenz, die von der Golfinitiative vorgesehen ist, einmal mehr verschoben. Mangels jeder Möglichkeit, die Konflikte im Norden und im Süden zu bearbeiten, werden sich diese weiter verschärfen. Die Stämme, die teilweise tief in Salehs Patronagesystem und damit in den jetzigen Machtkampf verflochten sind, sind einerseits ein Hindernis beim "state building", andererseits oft die einzig funktionierende Ordnungsmacht und das, was den Jemen im Moment eigentlich zusammenhält. 

Die wirtschaftliche Situation ist am Rande des Abgrunds, und dass man bereits von einem "failed state" sprechen kann, untermauert etwa die Nachricht, dass der Stadt Hadramaut die Elektrizität abgesperrt werden könnte, weil niemand mehr die Rechnung zahlt. Das ärmste arabische Land hat darüber hinaus eine große Flüchtlingspräsenz aus Somalia - leicht zu rekrutierendes Menschenmaterial für alle möglichen Gruppen, inklusive Al-Kaida, vor der viele Somalier ja eigentlich geflohen sind. Ende Mai wird in Riad eine "Friends of Yemen"-Konferenz stattfinden, wobei wenig Hoffnung besteht, dass diese der dramatischen Lage gerecht wird. (Gudrun Harrer, derStandard.at, 8.5.2012)