Brüssel/Straßburg/Wien - Der Umgang mit Flüchtlingen ist EU-weit ein Streitthema. Daher wundert es Anneliese Baldacchini vom Brüsseler EU-Büro von Amnesty International nicht, dass in Vorbereitung der geplanten Neuformulierung der EU-Aufnahmerichtlinie für Asylwerber heftig über die Regeln gestritten wird, die künftig EU-weit für den Umgang mit Schutzsuchenden gelten sollen.

Konkret geht es um die Frage des Freiheitsentzuges, also unter welchen Bedingungen, für wie lange und wie Asylwerber künftig eingesperrt werden dürfen, während ihr Verfahren läuft. Derzeit wird eine solche Inhaftierung in mehreren EU-Ländern praktiziert. Dies dürfe nicht zum Standard für ganz Europa werden, sagt Baldacchini: "Wir sind besorgt."

Am Dienstag, starteten Gespräche der dänischen Ratspräsidentschaft mit dem Europäischen Parlament zu dem Thema - und 166 NGOs aus ganz Europa lancierten einen Appell an die europäischen Institutionen: Das Recht von Asylwerbern auf Freiheit müsse erhalten werden, fordern sie.

Denn obwohl das Europaparlament und die Europäische Kommission EU-weit künftig so wenig Flüchtlinge wie möglich in Gefängnissen sehen möchten, wird über einen Kompromissvorschlag mit der dänischen Ratspräsidentschaft vom 21. März verhandelt, der laut Experten auf massive Freiheitseinschränkung hinausläuft. Personen, die ihren Asylantrag stellen, nachdem sie wegen "illegalen Aufenthalts" aufgegriffen wurden, sollen in Haft gesetzt werden können, besagt das diskutierte Papier.

"Für Österreich würde das bedeuten, dass Asylwerber fast flächendeckend eingesperrt werden könnten", kommentiert dies Bernhard Schneider, Bereichsleiter Migration und Recht beim österreichischen Roten Kreuz. Mangels anderer Asylantragsmöglichkeiten, etwa an österreichischen Botschaften im Ausland, seien Flüchtlinge gezwungen, das Land illegal zu betreten, sagt er. Das Rote Kreuz gehört, neben Caritas, Diakonie, Amnesty und der Asylkoordination, zu den Appellunterzeichnern.

Harte nationale Gesetze

Die neue EU-Aufnahmerichtlinie soll bis Ende 2012 ausverhandelt werden. Die derzeit geltende Bestimmung aus 2003 schweigt sich über Asylwerberinhaftierung aus. Es gilt nationales Recht, von dem es 27 Versionen gibt. In Malta etwa werden Asylwerber bis zu 18 Monaten eingesperrt, in Ungarn kommen Flüchtlinge, die im Rahmen der EU-weiten Dublin-II-Verordnung rückgeschoben wurden, prinzipiell in Haft. In Griechenland werden derzeit 30 Kasernen zu Flüchtlingsgefängnissen umgebaut, mit finanzieller Unterstützung der EU.

In Österreich gilt Anwesenheitspflicht für Asylsuchende bis zu einer Woche nach Antrag. Auf EU-Ebene setze man sich für eine Richtlinie ein, die keine Verschärfungen zur Folge habe, sagte ein Sprecher des Innenministeriums. (Irene Brickner, DER STANDARD, Printausgabe, 9.5.2012)