Grande Dame: F. Mayröcker.

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Wien - An den Sensationen ihrer Prosa arbeitet Friederike Mayröcke wie eine Botanikerin in Berufskleidung. "Ein Stramm-, ein Zurechtziehen dieser Schrift", verlangt die mittlerweile 87-Jährige von sich. Dabei ist "ich sitze nur GRAUSAM da" ein Buch der Euphorie geworden: Die Vegetation scheint zu explodieren.

Butterblumen blühen, die Rosen knospen. Aus allen Knopflöchern dieses völlig einzigartigen Textes schießen Dolden und Triebe, Butterblumen und Kelche. Olivenbäume strecken ihre Luftwurzeln in die Höhe. Das Laub scheint die Erzählerin zu liebkosen, und noch auf dem "Abtritt" begegnet man Schnittblumen, sorgfältig drapiert in einer Vase.

Nur ganz allmählich bemerkt man die sorgsam ausgestreuten Warnsignale in einem Prosabuch, das auf alle Sicherheitsnetze verzichtet. "Waldunglück" heißt es dann. Seit bald sechs Jahrzehnten demontiert Mayröcker alle an das Erzählen gerichteten Erwartungen. Im kunstvollen Aufbau von "ich sitze nur GRAUSAM da" dominiert die Logik der Wortfindung, der Sprachschöpfung. Die Funken und Funde werden sorgsam ineinandergeblendet, und ihre erzählerische Funktion bemisst sich am ehesten an der Häufigkeit ihrer Wiederkehr ("Ich faltete die Hände und hockte mich ins Geäst ...").

In die Litanei aus dem Zentagassenland im fünften Wiener Gemeindebezirk, der Heimat der Dichterin, mengen sich Erinnerungen an Gmunden, an den Traunsee, an Rohrmoos und Ischl ("I."). An der Seite der Ich-Erzählerin taucht schemenhaft - und nicht zum ersten Mal - ein Lebensmensch namens Ely auf. Man geht gewiss nicht völlig fehl in der Annahme, es könnte sich bei der Person um eine zärtliche Beschwörung des toten Lebensgefährten Ernst Jandl handeln.

Es ist ausgerechnet Partner Ely, der das Wesen dieser Prosa auf den Punkt bringt: "dieser Schein einer repetitiven Narration ist erregend .. .", lässt sich der Stichwortgeber vernehmen. Und es wird einem schlagartig bewusst, dass Mayröcker sich von ihrer Schrift, von den unzähligen Notaten und Zitatzettelchen bereitwillig überwuchern lässt. Einzig die Poesie verheißt Dauer. Die Spuren eines Lebensvollzuges, der sich auf Naturwahrnehmungen und Traumeingebungen stützt, sind nur insofern von Wert, als sie in den nicht abreißenden Strom der Sätze münden.

"Ich treibe Objekt Erotik" (sic!), schreibt Mayröcker irgendwann einmal. Und: "Die Schrift scheint aus dem Ruder zu laufen." Letzterer Satz ist so wahr, wie er unwahr zugleich ist. Einzig die Schrift verbürgt die Existenz der wie besessen Schreibenden. Sie ist ein offenes Gefäß, in das die unscheinbarsten Wirklichkeitsausschnitte Eingang finden, insofern diese nur wortwörtlich zu bezaubern vermögen: "bin abgestillt worden, entwöhnt, wie Säugling, nicht wahr." Die Autorin wird aber auch von den stillen "Donnerschlägen" und "Funkenflügen" heimgesucht, die Mayröckers Texte wie köstliche Unwetter erhellen.

Darüber soll nicht in Vergessenheit geraten, dass die Botschaft von Mayröckers neuem Band den Leser zutiefst melancholisch stimmt: Es liegt etwas von Abschiednehmen in der Geste des Hinnehmens, mit der Mayröcker sich für ihr Schreibprojekt geschmeidig durchlässig hält. Geistererscheinungen toben durch den Band, und es sind die Gestalten von Vater und Mutter ("Muzette oder Mama"), die im Tränenstrom der Assoziationen Anhaltspunkte liefern - oder Halt versprechen. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 10.5.2012)