Eigentlich wollte er Radrennfahrer werden, nach einem Unfall trat Paul Smith aber dann doch in die Fußstapfen seines Vaters, eines Schneiders. Heute ist Smith einer der wichtigsten Designer Englands und wird vor allem für seine Herrenmode geschätzt.

Foto: Hersteller

Zwei Kreationen aus der aktuellen Kollektion.

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STANDARD: Im Jahre 1970 haben Sie in London Ihren ersten Shop eröffnet. Was war das für eine Zeit?

Paul Smith: Aus heutiger Perspektive scheinen die frühen Siebzigerjahre eine freie, unbeschwerte Zeit gewesen zu sein. Das waren die späten Sechzigerjahre, sie waren kreativ und gaben den jungen Leuten - nach dem Horror des Zweiten Weltkrieges - ganz neue Möglichkeiten. Man konnte erstmals frei atmen. Aber die Siebzigerjahre waren geprägt vom Kalten Krieg und in England von sozialer Unruhe: Es gab den Coalminer-Streik oder die Dreitagewoche. Es war alles andere als leicht, den englischen Mann in ein Modegeschäft zu locken.

STANDARD: Trotzdem haben Sie offenbar einige Herren von Ihren Ideen überzeugt.

Smith: Es waren aber anfangs nicht viele! Was ich damals tat, war ja keine Revolution, sondern eher ein sanfter Schubser, der die Männer dazu anstiften sollte, etwas auszuprobieren, das ein wenig anders war. Das hat vielen gefallen, obwohl es damals gesellschaftlich noch nicht ganz akzeptabel war, dass sich auch Männer mit etwas Mode beschäftigen. Man hatte, gerade in England, sehr schnell das Gefühl, dass etwas zu feminin oder bemüht aussehen könnte.

STANDARD: Heute wird Ihr Stil als "britisch" angeschaut, obwohl er das anfangs gar nicht so sehr war ...

Smith: Das ist interessant, nicht? Aber es freut mich natürlich, obwohl ich mich selbst nie als ausgesprochen britisch angeschaut habe. Mir geht es mehr um eine moderne Interpretation der Klassik: Respekt vor Tradition und Handwerk, aber auch immer ein unerwarteter Dreh, ein Quäntchen Humor. Ich beschreibe meinen Stil oft als "Savile Row meets Mr. Bean" - also Sachen, die sorgfältig gemacht sind, aber auch Spaß machen.

STANDARD: Heritage, Vintage, Handwerk und Tradition sind in der Mode heute vielzitierte Schlagworte geworden ...

Smith: Da haben Sie leider recht. Aber es sind oft nur Slogans, fast ohne Inhalt - wie das Wort Luxus, der meist missbrauchte Begriff unserer Zeit. Es hat sich fast in sein Gegenteil verkehrt. Es gibt eine ganze Reihe solcher Begriffe, die vor lauter unbedachtem Einsatz bastardisiert sind. "Luxusmarke" ist eine künstlich hergestellte Phrase, um eine Marke einem Segment zuzuweisen.

STANDARD: Ist Ihnen wichtig, dass Ihre Sachen relativ bezahlbar sind?

Smith: Absolut. Weil ich möchte, dass sich möglichst viele Leute diese Sachen kaufen können. Ich möchte nicht nur an Menschen mit viel Geld verkaufen, sondern auch an 16-jährige Schuljungen. Im Vergleich zu den sogenannten Luxusmarken sind unsere Preise sehr vernünftig. Wir müssen ja auch kein Werbebudget von 100 Millionen Euro pro Jahr finanzieren, wie es viele sogenannte Luxusmarken tun. 

STANDARD: Haben die großen Luxusgruppen bei Ihnen angeklopft?

Smith: Oh ja, die sind in den Neunzigerjahren alle bei uns vorstellig geworden, aber damit will ich nichts zu tun haben. Stellen Sie sich vor, wie sich mein Leben verändern würde. Jetzt habe ich genug Geld, um komfortabel und relativ sorgenfrei zu leben, ich habe mein Haus und meine Frau, die ich noch immer sehr liebe, und das Business funktioniert. Was will man mehr? Wenn ich morgen Teil einer Luxusgruppe wäre, hätte ich vielleicht mehr Geld, aber viel mehr falschen Druck.

STANDARD: Denken Sie, dass diese großen Corporate Companies die Kreativität einschränken?

Smith: Es gibt heute tatsächlich keine großen Veränderungen mehr in der Mode, weil alles und alle so vom Business getrieben sind. Es geht um Kosten und Personal und Investoren, und da muss man sehr aufpassen, was man tut. Sehr viele Marken sind heute Teil von großen Gruppen oder an der Börse notiert, die haben einen enormen Druck von Shareholders. Das ist das Ende aller Kreativität und Spontanität.

STANDARD: Fette Gewinne sind also nicht Ihr Antrieb?

Smith: Ich denke, dass die Firma ohne mich vielleicht sogar einen größeren kommerzielleren Erfolg hätte, weil ich gerade in dieser Sache, der kommerziellen Abschöpfung der Möglichkeiten, immer etwas auf der Bremse stehe.

STANDARD: Sie haben soeben einen winzigen Accessoires-Shop in Paris eröffnet, der aussieht, als sei es ein Nachbarschaftsgeschäft - ist die Zeit der Flagship-Stores vorbei?

Smith: Das Lokal war früher ein kleines Quartiercafé, in dem auch Edith Piaf und Serge Gainsbourg zu Gast waren. Ich habe großen Spaß an diesem Miniladen, und natürlich ist er ein Wink mit dem Zaunpfahl: Man kann auch heute noch kleine, schöne Sachen machen, die vom Herzen kommen. Alles ist heute groß, weltweit und Respekt heischend, nichts ist mehr klein und lokal. Dagegen wollte ich ein Zeichen setzen.

STANDARD: Ist es vielleicht ein neues Modell zur Wiederbelebung der alten Innenstädte?

Smith: Wir haben auch in London ein paar ganz kleine, komische Geschäfte aufgemacht, und diese Cornershops verändern den Blick auf die Marke zum Guten. Außerdem kosten uns diese kleinen Läden kaum etwas. Doch es ist nicht wirklich ein Konzept. Wir haben einfach etwas ausprobieren wollen.

STANDARD: Die großen Einkaufsstraßen sehen heute weltweit fast gleich aus ...

Smith: Das ist doch grauenvoll! Sogar in kleinen Städten sieht man nur noch diese weltweit standardisierten Formate. Ich bin gerne auf Capri, und früher fand ich dort kleine, interessante Handwerker-Geschäfte, Cafés und lokale Spezialisten, aber jetzt hat irgendeine große Gruppe ganze Straßenzüge übernommen und gleichgeschaltet. Das ist enorm enttäuschend.

STANDARD: Die Macht der Modemultis wirft bei immer mehr Konsumenten die Frage auf: Brauchen wir alle sechs Monate ein neues Jackett?

Smith: Das muss jeder selber entscheiden. Brauchen tun wir es wahrscheinlich nicht, aber manche wollen es. Jasper Morrison hat einmal gesagt: Ich entwerfe Kaffeemaschinen, obwohl es bereits solche gibt, die wirklich gut funktionieren. Es braucht nicht wirklich neue Entwürfe, aber manchmal gelingt es, durch Design die Dinge noch einmal zu verbessern.

STANDARD: Verändern Designer die Welt zum Guten?

Smith: Wenn sie an die lahmende europäische Konjunktur denken, dann ist Design vielleicht gar kein schlechter Ansatz. Denn Design ist ein Treiber für Innovation, und das schafft Arbeitsplätze. Neue Ideen schaffen Begehrlichkeiten, und das befeuert die Wirtschaft. Denken Sie nur an das iPad.

STANDARD: Sie haben es angesprochen: Europa leidet gerade sehr ... Wie geht es Ihnen?

Smith: Wir haben eine recht komfortable Situation, weil wir keinerlei Schulden haben. Ich habe noch nie Geld geliehen, sondern immer alles selber verdient. Wann immer wir etwas Geld verdient haben, steckte ich es wieder in die Firma statt in einen Bentley oder eine Yacht.

STANDARD: Sie bleiben bei öffentlichen Dingen generell lieber ein bisschen abseits?

Smith: Es hat viel mit meiner Frau zu tun - wir beide fühlen uns recht wohl, wenn wir ein relativ normales Leben leben können und auch Zeit füreinander haben.

STANDARD: Roberto Cavalli sagte unlängst, dass er der einzige heterosexuelle Mann in der Mode sei. Haben Sie ihn denn nie getroffen?

Smith: Das ist wirklich lustig, dass er das sagt. Wir haben uns tatsächlich nur einmal getroffen.

STANDARD: Spielt es denn eine Rolle, ob man als Modedesigner hetero oder schwul ist?

Smith: Ich denke, dass dieses Thema überbewertet wird. Der einzige Punkt, der zutreffen könnte: Ich habe als Hetero keine sehr ausgeprägt weibliche Seite, und das könnte ein Nachteil sein, wenn es darum geht, Damenmode zu entwerfen. Vielleicht können Schwule das besser, sie scheinen sich mehr in diese Frauenwelt einfühlen zu können. Andererseits weiß ich als Heteromann vielleicht besser, wie eine Frau aussehen könnte, damit sie mir attraktiv erscheint? (Jeroen van Rooijen, Rondo, DER STANDARD, 11.5.2012)