Die Hollande-Welle rollt durch Europa. Kein Tag vergeht, ohne dass sich Spitzenpolitiker und -ökonomen mit Wachstumsideen überbieten. Das Kaputtsparen der Eurozone gehört mittlerweile zum Grundrepertoire jeder Konversation unter Intellektuellen. Anhand des bisherigen Verlaufs der Debatte kann damit gerechnet werden, dass neue schuldenfinanzierte Programme in Angriff genommen und Strukturreformen auf die lange Bank geschoben werden.

Dabei ist schon der Fluch der bisherigen Sparpakete zu relativieren. Keine Frage: In einigen kleineren Staaten wie Griechenland, Portugal oder im Baltikum wurde der Gürtel deutlich enger geschnallt. Doch für die Währungsunion spielt das keine gravierende Rolle: Sie liegt mit einer Ausgabenquote zwei Prozentpunkte über dem Vorkrisenjahr 2008. Anders ausgedrückt: Die Eurostaaten pumpten im Vorjahr gut 250 Milliarden Euro mehr in den Kreislauf als 2008 und zeichnen mit 49,2 Prozent für fast jeden zweiten erwirtschafteten Euro der Währungsunion verantwortlich.

Die Zahlen zeigen, dass in Europa sogar wachsende Ausgaben als beinharter Sparkurs dargestellt werden. Das Gegenargument der schweren Wirtschaftskrise mitsamt der Bankenhilfen, die ein zusätzliches Engagement erfordert hätten, geht dabei ins Leere: Schon 2010 erreichte die Wirtschaftsleistung wieder das Niveau von 2008, um es 2011 schon wieder deutlich zu übertreffen.

Das zeugt schon vom Hauptproblem des Alten Kontinents: Krisen gehen, Ausgaben bleiben. Das über die automatischen Stabilisatoren (wie Arbeitslosenhilfe) hinausgehende konjunkturelle Gegensteuern dämpft zwar den Abschwung, behindert aber wegen der fortwirkenden Belastung die Erholung. Dazu kommt die fragwürdige Effizienz verschiedener Stimuli. So gibt es Berechnungen, wonach jeder in Österreich während der Rezession 2009 künstlich erhaltene Arbeitsplatz 525.000 Euro kostete.

Dazu kommt, dass die Staatsfinanzen bei weitem nicht das einzige Problem Europas sind, mindestens ebenso relevant sind andere ökonomische Faktoren wie private Verschuldung, Außenhandelsbilanz und Wettbewerbsfähigkeit. Hollandes Rezepte würden nicht nur die öffentlichen Haushalte über Gebühr belasten, sondern auch die jetzt schon kritische Konkurrenzfähigkeit seines Landes weiter beeinträchtigen.

Sein Programm spricht eine klare Sprache: Rücknahme der Pensionsreform (Sarkozys Reform verdankt das Land, dass es bei zwei Ratingagenturen noch ein Top-Rating genießt), Rückholaktion für Firmen, die ihre Produktion ins Ausland verlagert haben, langsamerer Defizitabbau. Und das Ganze bei einer Ausgabenquote von 56 Prozent des BIPs, einem gefährlich rasch steigenden Schuldenstand und konstanten Einbußen bei der Konkurrenzfähigkeit des Landes.

Eine Umkehr des Schuldenabbaus (privat wie staatlich) und der Strukturreformen, so schmerzhaft sie sind, wäre auch in den Südländern der Eurozone ein Fehler. Ein Blick nach Lettland, das eine schwere Krise mit harten Einschnitten annähernd verdaut hat, täte den Kritikern gut. Die schwächeren Regionen jetzt mit EU-Injektionen aufzupäppeln hieße, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Insbesondere wenn es um Megaprojekte geht, die ökonomisch keinen Sinn machen und von denen am Ende nur mehr Schulden bleiben. Zu Tode gespritzt ist auch gestorben. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, 11.5.2012)