Rudy (li.) und Steven in New York. Der schwule Ex-ORF-Journalist wechselte 1958 in die USA, wo er seinen langjährigen Lebensgefährten kennenlernte.

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Wien - Öffentliches Wissen über Frauen, die Frauen lieben, vielleicht sogar Vorbilder, gab es keine, als Hedi, heute 75, in den 50er-Jahren auf der Suche nach dem für sie richtigen Lebensstil war. "Es gab alleinstehende Tanten. Sie waren verschroben, so wollte ich nicht werden. Es gab Frauen, die ins Kloster gingen, das war mir zu eng. Und es gab verheiratete Paare, die waren einigermaßen okay."

Also heiratete die Tochter aus katholischem Haus und brachte binnen sechs Jahren fünf Kinder zur Welt. "Dann war mir klar: Jetzt ist Schluss" , schildert sie im Interview für den Dokumentarfilm Warme Gefühle. Vier Liebesgeschichten aus Österreich.

Schluss mit der selbstverständlichen und sie einschränkenden Heterosexualität, meint sie. Einer Norm, die in den Jahrzehnten nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Österreich unanfechtbar war und unwidersprochen blieb. "Man muss das als Folgewirkung des Austrofaschismus und der Nazizeit sehen. Die Erinnerung an die wilden 1920er-Jahre mit beginnender Frauenemanzipation und Geschlechterrollenexperimenten war verschüttet", schildert Ines Rieder, wissenschaftliche Beraterin von Katharina Miko und Raffael Frick, die bei dem 50-Minuten-Streifen Regie führten.

Der ORF sendet den Film über die bisher völlig ausgeblendete bleierne Zeit für Österreichs Lesben und Schwule am Sonntag auf der nächtlichen Doku-Schiene. Inhaltlich handle es sich um eine Premiere, erläutert Sendungsveranwortlicher Christian Riehs: "Es ist meines Wissens das erste Mal, dass der ORF einen Dokumentarfilm über ältere Homosexuelle in Österreich zeigt." Manche Dokumentation habe zu dieser späten Stunde schon mehr als eine Viertelmillion Zuschauer gehabt.

Nicht reden, nicht zugeben

Tatsächlich kommen die "Liebesgeschichten" ohne Heiratsssachen der Realverfassung Nachkriegsösterreichs ein Stück näher. Da sind Rudys Schilderungen: Der heute 87-Jährige wechselte 1958 nach New York, wo er heute mit Lebensgefährten Steve wohnt. Niemals in seiner Karriere als ORF-Korrespondent sei er auf seine allseits bekannte Homosexualität angesprochen worden. Auch er habe sie nie erwähnt, sagt er.

Denn Reden hatte Strafe zufolge. In Friedemanns (66) Fall drei Monate schweren Kerker, weil er, vor 1971 noch unterm Homosexualitätstotalverbot, einem Polizisten auf die Frage, ob er "etwas mit Männern" habe, trotzig "Ja!" entgegenschleuderte. Unauffällig bleiben und ein Doppelleben führen lautete daher die Überlebensstrategie: "Lesben", schildert die Schneiderin Herta (68), " existierten damals nicht. Schon gar nicht im Gemeindebau." (Irene Brickner, DER STANDARD, 12./13.5.2012)