Medien, Stammtische wie Seminarräume sind derzeit ganz auf das politische und wirtschaftliche Drama in Griechenland konzentriert; oder auf die Frage, ob in Südeuropa mit Spanien ein Spätopfer der US-Finanzkrise riesige Milliardenhilfen der Partner braucht, um nicht unterzugehen - was den Euro sprengen könnte.

Diese Fixierung auf die Probleme im Süden ist durchaus verständlich angesichts der Existenzsorgen, die die Krise ausgelöst hat. Die EU mit ihrer Eurozone, das sei ein einziger Verliererverein, in dem man nur draufzahlt, meinen viele. Die Zahl der Zweifler wächst in geografisch begünstigten Zentralländern des Kontinents, wie Deutschland, Niederlande oder Österreich. Ausgerechnet: Gerade sie wurden (nicht nur, aber auch) durch ein offenes Europa reich.

In all den Sinnkrisen und Sehnsüchten nach einem Zurück zur alten, kleinen Kern-EU sei daher einmal der Blick auf eine ganz andere Region empfohlen: nach Nord-Osteuropa, konkret nach Polen und in die drei kleinen baltischen Staaten. Über die wird europaweit kaum gesprochen; ein Fehler, wie die jüngste EU-Konjunkturprognose zeigt.

Diese Länder haben die Krise besser als Österreich bewältigt, Defizite und Schulden sinken deutlich, das Wachstum steigt überproportional. Mit Finnland (wo es 1995 fast 18 Prozent Arbeitslosigkeit gab), Schweden und Norddeutschland entsteht rund um die Ostsee ein wirtschaftliches Kraftzentrum - mit und ohne Euro. Auch das ist die EU. (Thomas Mayer, DER STANDARD, 12/13.5.2012)