Produkt und Inszenierung: Harun Farockis "Still Life".

Foto: Gal. Stadtpark

Krems - Um das Hohe nicht herabzusetzen, das Göttliche nicht zu vermenschlichen, wandte sich die flämische Malerei im 16. Jahrhundert der Stilllebenmalerei zu. Sie könne es dabei allerdings nicht vermeiden, so der Sprecher in Harun Farockis Film Still Life von 1997, das Gewöhnliche, die von menschlicher Hand gefertigte Ware, zu überhöhen: Obst und Gemüse, Fleisch und geschliffene Gläser statt biblischer Szenen.

Farockis Film startet wie eine Folge der erfolgreichen TV-Produktion 1000 Meisterwerke und richtet den Blick auf Pieter Aertsens Marktfrau am Gemüsestand (1567) und Metzgerladen (1551), lenkt diesen mit ruhiger Stimme auf Kürbis und Kohl, Fasan und Schweinshaxen. Doch Farocki belässt es nicht beim kunsthistorischen Exkurs, sondern nutzt diese Perspektive für ein völlig anderes Genre: die Werbung.

Der deutsche Dokumentarfilmemacher, dessen Werke seit vielen Jahren im Kunstkontext rezipiert werden und nun in der Galerie Stadtpark in Krems zu sehen sind, blickt auf die - damals noch analoge - Fotoproduktion: Er zeigt das Bügeln von Dollarnoten und Aufschlagen von Bierschaum, das Inszenieren, Arrangieren und das Abwägen darüber. Während diese langen, beobachtenden Bildsequenzen unkommentiert bleiben, sie genug Zeit lassen, über die Geburt des Warenfetisch in der Stilllebenmalerei nachzusinnen, werden die entscheidenden Kriterien anhand der historischen Gemälde angerissen; ein geschickter Wechsel der Betrachterstandpunkte mit raffiniert gesetzten Schnitten: Es geht um Alchimie, die Suche der Wahrheit in der Erscheinung, um den Fetisch, das Aufladen der Warenwelt mit erhabenen Werten: "Für den Handel müssen die Dinge etwas bedeuten, nicht sein."

Trotz aller Reduktion haftet dem Film - in Krems vorbildlich installiert - ein erzieherisches Moment an. Moralischer als diese Sehschule ist seine zweite dort präsentierte Arbeit: ebenfalls eine Reflexion über einen Produktionsort, dieses Mal jenen der Musik.

1978 war Farocki zwei Tage lang Zaungast von Songaufnahmen in den Hamburger Hansa-Studios. Aus 18 Stunden Material wurde das 47-minütige Radiofeature So long good-bye, das jegliche romantische Illusionen raubt, dem man aber hier mit Blick in den grünen Park lauschen kann. Zerlegt in einzelne Produktionsschritte, zeigt Farocki den Fließbandcharakter der Musikproduktion: eine "gefühlskalte" Welt, wie der Künstler ernüchtert urteilt. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 16.5.2012)