Mörtel? Braucht man in den Tälern rund um den Manaslu nicht. Die Häuser bestehen aus übereinandergeschichteten Steinen, durch die der Wind pfeift.

Foto: Hilpold

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Ein Mönch mit seinen trocknenden Chilis im Kloster von Lho.

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Anreise & Unterkunft

Beste Reisezeit für den Manaslu ist zwischen März und Mai und Oktober und Dezember. Die beste Verbindung nach Kathmandu gibt es mit Qatar über Doha. Der Manaslu-Trek geht in Ghorkha los, dauert 17 Tage und endet in Besi Shahar. Organisiert wird der Trek vom äußerst empfehlenswerten Grazer Reiseveranstalter "Weltweitwandern", Tel.: 0316/58 35 04-0

Grafik: DER STANDARD

Wo, um Himmels willen, ist der Manaslu? Die Sicht ist trüb heute Morgen, Staub liegt in der Luft. Die Silhouetten am Horizont könnten Wolkentürme sein - oder die Umrisse eines gewaltigen Bergmassivs. So genau ist das jetzt, um sechs Uhr früh, nicht zu sagen.

30, vielleicht auch 40 Kilometer Luftlinie liegen an diesem Morgen zwischen dem fünfköpfigen Touristengrüppchen, das gerade aus seinen Zelten unweit von Gorkha gekrochen kommt, und der verschwommenen Wolken- oder Bergesformation am Horizont. Ja, die Richtung stimmt, genau dort müsste der Manaslu liegen, beruhigt Hari Pokhara, der uns in den kommenden 17 Tagen vorangehen wird: hinein ins enge Budhi-Gandaki-Tal, hinauf zu den kargen Siedlungsgebieten der tibetischen Nubri, schließlich über den Larke-Pass und hinunter ins grünere Marsyangdi-Tal mit seinem reißenden Gletscherfluss. 17 Tage, die von 600 auf über 5000 Meter führen werden und die von der lieblichen Mittelgebirgslandschaft bis zum lebensabweisenden Hochgebirge alles zu bieten haben. Inklusive Verzückungsschreien und Lagerkoller.

Noch aber ist der Manaslu nur eine vage Hoffnung am Horizont, und Hari drängt zum Aufbruch. "Es wird heiß werden heute", sagt er und schickt die 16 Träger samt Zelten und Proviant schon einmal voraus. An einfachen Stirnriemen werden sie in den kommenden zweieinhalb Wochen die gesamte Ausrüstung über den Pass schleppen. 30 Kilo hat jeder von ihnen am Buckel, nach wenigen Minuten tropft der Schweiß von der Stirn. Eine kräftezehrende Angelegenheit - allerdings eine ohne Alternative. Die Mulis, die auf anderen Trekkingrouten als Lastenträger eingesetzt werden, scheiden hier, am Manaslu, aus. Zu steil ist die Etappe über den Pass. Zudem weiß man nie, wie viel Schnee gerade liegt.

Schlechtwettereinbruch

Jetzt, Ende März, schaut die Situation nicht schlecht aus. Zwei, drei Wochen vorher wäre der Pass noch unpassierbar gewesen, meint Hari, ein Schlechtwettereinbruch habe über einen Meter Schnee gebracht. Bis im Juni die Monsunregen einsetzen, sollte der Pass für eine Karawane wie die unsere aber überschreitbar sein. Erst im September werden dann die Trekker wieder den Weg hinauf finden. Doch auch dann bleibt die Umrundung des Manaslu das Vergnügen einiger weniger. Anders als der benachbarte Annapurna-Circuit, der berühmte "Apple-Pie-Trek", blieb der Manaslu bisher von den Wander-Horden verschont. Zum einen weil die nepalesische Regierung so wenige Touristen als möglich in das Grenzgebiet zu Tibet lassen wollte. Und zum anderen weil die Infrastruktur mehr als rudimentär ist. Beides ändert sich gerade.

"Wahrscheinlich", sagt Hari, "ist der Manaslu-Trek in zehn Jahren genauso überlaufen wie die Annapurna-Runde." Seit über zehn Jahren führt der 30-Jährige aus Kathmandu Touristengruppen durch Tibet und den Himalaja. Den Manaslu hat er selbst erst dreimal umrundet. Bis 1991 war das Gebiet gesperrt, später erlaubte die Regierung ausschließlich geführten Gruppen den Zutritt, mittlerweile darf man auch ohne Führer hinein. Ab nächster Saison wird die Trekkinggebühr deutlich geringer, in beinahe allen Ortschaften schießen deshalb Lodges aus dem Boden. Manche Touristen wagen sich bereits jetzt ohne Zelte an die Tour, sie schlafen auf Holzpritschen in Steinhäusern, durch die der Wind pfeift. Viele Wanderer sind jetzt, zu Saisonbeginn aber nicht unterwegs.

In den ersten Tagen eigentlich gar keiner außer uns. "Namaste", grüßen die Kinder am Wegesrand und fragen dann mit viel Gekicher nach einem Kugelschreiber. Aus der holprigen Straße, die dem Fels abgetrotzt wurde, wird ein schmaler Pfad, der sich treppauf, treppab um die Talrücken windet. Die Wände sind steil, die Luft staubig, die Sicht begrenzt. Wo, um Himmels willen, ist der Manaslu? Selbst nach einer Woche Fußmarsch will sich der 8000er noch immer nicht zeigen. Immer tiefer geht es hinein in die steilen Täler, vorbei an den Dörfern der Gurung, über Hängebrücken, die manchmal über 100 Meter lang sind, vorbei an Wasserfällen, für die anderswo Eintritt verlangt würde. Die Gegend ist schroff und trocken, die Abhänge stürzen hunderte Meter in die Tiefe, nur wenige Felder sind nach dem langen Winter bereits grün. Östlich zeigt sich manchmal der über 7000 Meter hohe Ganesh, meistens ist auch er nicht zu erkennen.


Das Kloster von Lho thront auf über 3000 Metern unter den zwei mächtigen Gipfeln des Manaslu.

"Bald regnet es", sagt Hari und zeigt auf die Quellwolken, die sich bedrohlich über den Bergen türmen. Wir beschleunigen unseren Schritt, zwängen uns gemeinsam mit Karawanen von Mulis über die schmalen Steige, die der einzige Zugang zu den Hochtälern sind. Untertags machen sich die störrischen Tiere auf den Wegen breit, in der Nacht am liebsten rund um die Zelte: Muli Rouge.

Hier, im Nationalpark östlich des Manaslu, leben 9000 Menschen. Je weiter man hinaufkommt, unter desto kärgeren Bedingungen. Eine Umrundung des Manaslu ist eine Reise in die Vergangenheit, manche sagen: eine ins Mittelalter. Männer mit Ochsen pflügen die terrassierten Felder, die Frauen werfen hinter ihnen die Saat aus. Die vielen Reisterrassen in den unteren Höhenlagen sind schon lange Mais- und Kornfeldern gewichen, die Luft wird klar, statt einfacher, aber immerhin dichter Holz- und Wellblechhütten gibt es Häuser, die aus übereinandergeschichteten Steinen bestehen. Und aus sonst gar nichts. Manche Orte verfügen über ein kleines Wasserkraftwerk, dann erleuchtet zumindest eine schwache Glühbirne die dunklen Hütten. Auf etwa 2000 Metern beginnt das Reich der Kutang und der Nubri, zwei Volksstämmen, die vor Hunderten von Jahren aus Tibet hierhergekommen sind.

Wir schlagen unsere Zelte in Sama auf, mit über 100 Häusern eine der größten Ortschaften des Tales und Hauptort der Nubis. Er liegt auf 3500 Metern, knapp unter der Waldgrenze. In der Nacht hat es wieder geschneit. Um sechs Uhr ist Weckzeit, die ersten Yaks trotten bereits gemütlich an den Zelten vorbei. Der Manaslu, der sich zwei Tage zuvor kurz vor Lho erstmals schneeblitzend und mit einigen Wolkenschwaden um seine markante Spitze gezeigt hat, liegt wieder hinter dicken Wolken verborgen. Mit seinen 8183 Metern ist er neben dem Annapurna der niedrigste der nepalesischen Achttausender, gleichzeitig gilt er aber als einer der schwierigsten. Etwa 280 Bergsteiger und Sherpas haben bis heute den Gipfel erreicht, 53 kamen durch Lawinen, Abstürze und die Höhenkrankheit ums Leben. Das Wetter ist hier oft besonders schlecht. Als Reinhold Messner 1972 erstmals die Südwestflanke (seinerzeit eines der großen ungelösten Probleme des Himalaja) bestieg, starben zwei Tiroler Kameraden in einem Schneesturm.

Gletscherzungen am Basecamp

Uns reicht das Manaslu-Basecamp, im Neuschnee ist selbst das 4400 Meter hohe Lager gar nicht so einfach zu erreichen. Die Atemzüge gehen schwer, jeder Schritt benötigt in dieser Höhe Kraft. Riesige Gletscherzungen stürzen gleich neben unserem Pfad in die Tiefe, irgendwann reißt die Wolkendecke auf. Der Manaslu. Knappe 4000 Höhenmeter trennen uns von ihm, ein vorgelagerter Zacken, der wie ein Eispickel in die Höhe ragt, dahinter der eigentliche Gipfel.

Für die Nubri, die sich vor Jahrhunderten auf den breiten Moränenfeldern am Fuße des Berges angesiedelt haben, ist der Manaslu ein heiliger Berg. "Berg der Seele" heißt er in ihrer Sprache, jeden Tag bringen sie ihm Opfer dar. Der Alltag und die Religion sind hier nicht voneinander zu trennen, Gombas prägen das Dorfbild, Gebetsfahnen flattern auf den Häusern, kein Pfad, der nicht von Mani-Mauern gesäumt wird. "Im Winter ziehe ich hinunter nach Arugat", erzählt Dolma Zangpo, in deren Haus wir uns an diesem Mittag wärmen dürfen. Der Lehmherd ist das Zentrum des zweistöckigen, zugigen Steinhauses, ein Kamin ragt etwa einen Meter in die Höhe. Der Rauch zieht dann durch ein Loch im Dach ab - oder auch nicht. Ebenerdig sind die Tiere untergebracht, über eine Leiter erreicht man den ersten Stock. Früher, erzählt Dolma, habe die Familie das ganze Jahr hier oben verbracht, heute bleibe höchstens einer zurück, der auf die Yaks aufpasse.

Am folgenden Tag werden wir das höchstgelegene Dorf in dieser Gegend erreichen, Samdo, der Höhenmesser zeigt 3900 Meter. Wilde Blauschafe weiden an den Hängen über dem Dorf. Hier wächst kaum mehr etwas, die Bewohner leben vom Handel mit Salz, Wolle oder getrocknetem Käse. Ein Tagesmarsch ist es hinüber nach Tibet, in zwei Tagesmärschen erreicht man den Larke-Pass. Den höchsten Punkt unserer Reise. Um vier Uhr klingelt der Wecker, mit Taschenlampen zieht der Trupp los. Bald schon leuchten die Gipfel im Sonnenlicht, die Sonne ist stark hier oben, um neun sollte man spätestens am Pass sein. Dann wird der Schnee weich und der 1500-Meter-Höhenabstieg zu gefährlich. "Geht langsam", mahnt Hari, obwohl alle nur mehr im Schneckentempo ihre Schneisen durch den Schnee ziehen. Auf 5000 Metern wird man zum Roboter, ein Schritt und noch einer, dann ist man irgendwann am Pass.


Treppauf, treppab winden sich die schmalen Pfade um die Talrücken im engen Budhi-Gandaki-Tal. Lasten werden hier auf dem eigenen Rücken - oder mit Hilfe von Mulis - transportiert.

Er ist einer der spektakulärsten im Himalaja, mit 5106 Metern nicht gar so hoch wie andere, dafür sind die Gletscherfelder und die vielen Gipfel zum Greifen nah. Wie der kolossale Zacken da rechts heiße? "Der hat keinen Namen", sagt Hari, unter 6000 Metern mache man sich nicht die Mühe, welche zu erfinden. Und der Manaslu? Er geht hinter den vielen Gipfeln in Deckung, erst am Abend nach einem schwierigen Abstieg sehen wir ihn wieder, diesmal von der anderen Seite. Er ist nicht wiederzuerkennen. Ein majestätischer Koloss, kein filigraner Zweizack wie von der westlichen Seite. Drei, vier Tage dauert der Abstieg noch, hinunter in die Täler, die jetzt plötzlich ganz grün erscheinen. Die Rhododendren, das Wahrzeichen von Nepal, blühen, die Luft ist würzig und klar.

Zwei Tage vor dem Ende der Reise, in Dharapani, treffen wir auf den Annapurna-Trek. Hier ist niemand mit dem Zelt unterwegs, es gibt Snickers und Apfelkuchen. Eine andere Welt. Auf dem Annapurna-Trek, sagt Hari, brauche niemand einen Führer. Dafür zeigt einem aber auch niemand den Manaslu. (Stephan Hilpold, Rondo, DER STANDARD, 18.5.2012)