Weit ist das Feld des kreativen Umsetzens von Alltag: ein Besen, dem man per Kopfhörer beim Kehren zuhören kann.

Foto: Laboratoria

Es gibt viel Staub in Moskau. Vielleicht nicht mehr als in anderen Großstädten, es mag nur mehr auffallen. Vor allem, wie Simon Mraz beobachtet, "wenn wie jedes Frühjahr einfach drüber gemalt wird". Während Anstreicher staubige und verkrustete Gitter, Blumentöpfe und Türen neu einfärben, ist der Leiter des Österreichischen Kulturforums Moskau unterwegs in den Kunst- und Wissenschaftsraum Laboratoria. Hier, im Hinterhof eines Forschungsinstituts, läuft die passende Ausstellung zu dem Thema, über das er sinniert.

"Dust" ist eine russisch-österreichische und eine künstlerisch-wissenschaftliche Koproduktion. Auf die Idee gebracht habe ihn die Staubserenade, sagt Mraz: Drei am MIT tätige, österreichische Wissenschafter hatten eine Installation gebaut, in der Schallwellen Straßenstaub zu Mustern anordnen - ein Experiment aus dem 19. Jahrhundert, das sie zu neuem Leben mit ästhetischem Mehrwert erweckten.

Mraz und Co-Kuratorin Daria Parchomenko luden Experten ein: einen Biologen, der über Pollen und einen Weltraumexperten, der über kosmischen Staub sprach, andere legten den Zerfall von Materie dar: Staub als Baumaterial als Befruchter, aber auch als Symbol von Vergänglichkeit, Verfall.

Ein weites Feld für kreatives Kehren: Einige Künstler meinen es wörtlich, wie etwa Anatolij Osmolowskij, der am unteren Rand der Wände einen Satz über die wahre Freiheit anbrachte: Dank dem haftenden Staub ist er, zunehmend schwierig, lesbar. Oder Michail Tolmachev, der auf Papier einfängt, was durch Klimaanlagen und Heizschächte geblasen wird. Erwin Wurm ging das Thema bereits 1991 sehr direkt an: Von einem Objekt unter Glas bleiben nur die vom Staub zurückgelassenen Konturen zurück.

Weitläufiger geht das Moskauer Kollektiv "Vverkh!" ("Nach oben!") mit der Vorgabe um. "Electronic Dust" ist das Ergebnis, wenn auf einem Schirm tausende Online-Videos zu Pixelgröße schrumpfen: ein flimmerndes Chaos, Zerfall und Neuschöpfung zugleich. Ganz anders noch wirbelt es, wenn man sich die Augen reibt: Die so entstehenden inneren Leuchtpunkte hat Sergej Schutov "Hirnstaub" getauft. Auf TV-Schirmen werden die Phosphene (so die physiologisch korrekte Bezeichnung) neu visualisiert.

Modifizierte Plattenspieler, die Jahresringe von Baumquerschnitten oder zermahlene Festplatten abtasten; ein Besen, dem man beim Kehren per Kopfhörer zuhören kann; Sprache, die zu Lärm und Rauch wird; zu Sand geronnene Wellenbewegungen: Die russischen und österreichischen Kunstszenen, sagt Mraz, seien lebendig, experimentierfreudig und am Austausch mit anderen Ländern interessiert. Aber Geld hätten sie wenig, jede Unterstützung sei daher wichtig und willkommen.

Das Kulturforum brauche seinerseits Sponsoren. "Ich hatte schon an die niederösterreichischen Energieversorger EVN gedacht und dann erfahren, dass sie hier in Russland die größten Müllverbrenner sind. Ich hab ihnen gesagt, ihr macht's Energie aus Müll, wir machen Kunst aus Staub. Sie sind drauf eingestiegen." "Dust" wird von EVN und Raiffeisen unterstützt.

Im letzten Raum ist noch eine Tür, sie ist leicht geöffnet, führt aber nirgendwohin. Dafür hat Olga Tschernyschowa dahinter installiert, was man in regelmäßigen Abständen als Reaktion auf zu viel Staub hören kann: "Hatschi!" (Michael Freund aus Moskau, DER STANDARD, 24.5.2012)