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Zeigt die Lokalanästhesie keine Wirkung, kann das an der Knochenspange im Unterkiefer liegen. Ist diese sehr gut ausgebildet und setzt der Zahnarzt die Lokalanästhesie davor, ist die Wirkung gleich null.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Obwohl der Zahnarzt die volle Dosis an Lokalanästhesie gespritzt hat und meint, "das kann nicht mehr wehtun", lässt sich der Schmerz beim Bohren nicht wegdenken. Einbildung, Anomalie der Anatomie oder Versagen des Zahnarztes?

"Die Lokalanästhesie ist der häufigste Eingriff in der Zahnarztpraxis", sagt Thomas Bernhart, Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Orale Chirurgie Österreich, der kürzlich eine Fachtagung über Lokalanästhesie an der Universität Wien veranstaltet hat. "Für jeden schmerzlosen Eingriff ist sie notwendig. Oft wird auch der Zahnarzt daran gemessen, ob die Spritze wirkt oder nicht."

Lokal- oder Leitungsanästhesie

Lidocain kommt in Form einer Injektionslösung zum Einsatz und bewirkt eine lokale Nervenblockade. "Man muss allerdings davon ausgehen, dass nur 20 Prozent des Lokalanästhetikums ihre Wirkung entfalten, der Hauptanteil wird durch das Blut abtransportiert oder landet nicht in der Gewebeschicht, in der er sollte", klärt Bernhart auf.

Auch wenn man allgemein von Lokalanästhesie spricht, ist Spritze nicht gleich Spritze. Der Zahnarzt wendet zwei Methoden an, um den Schmerz im Mund zu unterbinden: Die "Lokalanästhesie" wirkt direkt auf den Nerv und hält das zu behandelnde Areal schmerzfrei. Bei der "Leitungsanästhesie" wird das Lokalanästhetikum in Form eines Depots in den Nervenkanal injiziert. "Peripher zu diesem Depot ist dann alles anästhesiert. Das ist vergleichbar mit dem 'narrischen Bein', wo ich mir den Ellbogen anhaue und das bis in die Finger spüre", veranschaulicht der Facharzt für Zahn- und Kieferheilkunde.

Im Oberkiefer kommt vorwiegend die Lokal-, im Unterkiefer teils die Lokal- und teils die Leitungsanästhesie zum Einsatz, je nach Einschätzung des Zahnarztes. "Die Leitungsanästhesie lässt sich besser verifizieren", erklärt Bernhart. "Wenn Sie da vorne drücken, muss es taub sein. Wenn das bei einer Höchstdosierung nicht der Fall ist, darf man als Zahnarzt nicht mit der Behandlung anfangen", meint er. "Die logische Konsequenz müsste sein: Lassen wir es bleiben und schauen wir, was die Gründe dafür sein können."

"Anästhesieversager"

Indikationen für solche "Anästhesieversager" gibt es mehrere. Auf Patientenseite können es die individuellen anatomischen Unterschiede sein. "Manchmal verläuft der Nerv des Patienten nicht wie erwartet. Wenn man das Depot mit dem Lokalanästhetikum aber nicht an die richtige Stelle setzt, wirkt die Leitungsanästhesie nicht entsprechend", so Bernhart.

Ein Grund dafür kann in der Knochenspange im Unterkiefer liegen, wo der Nerv eintritt. Ist diese Knochenspange sehr gut ausgebildet, bezeichnet man sie als "Lingula". Setzt der Zahnarzt die Lokalanästhesie davor, ist die Wirkung gleich null. Aber auch bestehende Entzündungen können aufgrund der Spannung im Gewebe, einer Schwellung oder eines ins Saure gehenden pH-Wertes die Entfaltung der Wirkstoffe verhindern.

Seitens des Arztes ist Anästhesieversagen insofern möglich, als er die anatomischen Bedingungen des Patienten nicht erkennt oder zu wenig Mittel verabreicht. Kurz: Er deponiert das Lokalanästhetikum an der falschen Stelle oder injiziert zu wenig davon.

Joker im Ärmel

Die Dosis des Lokalanästhetikums wird aus dem Körpergewicht des Patienten errechnet. "Ich persönlich verabreiche zu Beginn der Behandlung nur 80 Prozent der Maximaldosis", erklärt Bernhart. "Wenn das nicht funktioniert, habe ich immer noch einen 20-Prozent-Joker, den ich spielen kann." In einem zweiten Schritt spritzt er dann seitlicher oder etwas tiefer.

Führt das ebenfalls nicht zum gewünschten Erfolg, sollte der Zahnarzt aber noch nicht am Ende seiner Weisheit sein: Im Rahmen der sogenannten intraligamentären Medikation wird das Lokalanästhetikum zwischen Zahn und Knochen injiziert. Oder man spritzt von oben direkt in den Zahnnerv hinein. "Das tut zwar kurz weh, ist aber sehr wirkungsvoll", so Bernhart.

Wenn die Spritze wehtut, ist sie dann besonders wirksam, weil man den Nerv getroffen hat? "Wenn die Lokalanästhesie nicht wehtut, hat der Patient weniger Stress", meint Bernhart. "Er sollte den Stich mit einer dünnen Nadel möglichst nicht spüren, sonst fragt er sich: Wenn es jetzt schon wehtut, wie wird es dann weitergehen?"

Der Schmerz, der im Rahmen einer örtlichen Betäubung auftreten kann, entsteht durch die Spannung im Gewebe, etwa weil die Lokalanästhesie zu schnell gesetzt wird. Spürt man beim Einstich gar so etwas wie einen elektrischen Schlag, sollte man das artikulieren und der Zahnarzt das Anästhetikum nicht injizieren, da es zu einer Schädigung des Nervs kommen kann.

Allergisch auf die Spritze?

Manche Patienten reagieren auf die Lokalanästhesie mit Herzklopfen und Atemnot. Rasch kommen sie zu der Überzeugung "Ich vertrage die Spritze nicht" und verbinden diese Erfahrung mit einer Allergie. "Einer der Gründe für diesen Irrglauben ist, dass dem Anästhetikum Adrenalin zugesetzt ist. Dieses verzögert den Abtransport der Lokalanästhesie im Körper und verringert die Blutung während des Eingriffs. Bei manchen Patienten ruft es allerdings diese systemische Reaktion hervor", erklärt Bernhart.

Adrenalin benötigt einen Konservierungsstoff, und dagegen haben einige wenige Menschen tatsächlich eine Allergie. Hier können Zahnärzte eine Lokalanästhesie ohne oder mit sehr niedrig dosiertem Adrenalin verabreichen. Darüber hinaus ist es Bernhart ein Anliegen, einen weiteren Irrglauben zu widerlegen: "Immer wieder heißt es, dass Schwangere und Patienten mit Herz- und Lungenerkrankungen keine Lokalanästhesie bekommen dürften. Das ist nicht der Fall."

"Es gibt nichts, das es nicht gibt"

Patienten, deren Zähne sich nicht so einfach schachmatt setzen lassen, nimmt Bernhart ernst: "Rein anatomisch gibt es nichts, das es nicht gibt." Er definiert die Lokalanästhesie als einen sehr intimen Eingriff, der von Arzt- und Patientenseite gleichermaßen getragen werden müsse: "Lokalanästhesie bedeutet nicht, ich habe meinen Schädel abgegeben." So ist Bernhart auch kein Freund von Videoschirmen. "Ich will den Patienten nicht wegbeamen. Er soll bei mir sein und bei mir bleiben. Das hat mit Kooperation zu tun."

Patienten, die an Schmerzen leiden, bedeuten auch für den Zahnarzt eine große Belastung. "Wenn sie sich während der Behandlung komplett dem Schmerz widmen, kann ich mich schlecht auf meine Arbeit konzentrieren."

Menschen, die Probleme mit der Anästhesierung ihrer Zähne haben, empfiehlt Bernhart, den Zahnarzt bereits im Vorfeld auf diesbezügliche Erfahrungen anzusprechen. "Alleine wenn Sie fragen, geben Sie bereits preis, welche Art von Patienteninformationen Sie wünschen. Manche Ärzte finden das sympathisch, andere möchten das nicht. Patienten suchen sich ihre Ärzte aus und Ärzte ihre Patienten." (Eva Tinsobin, derStandard.at, 30.8.2012)