Der in Los Angeles geborene Herb Ritts hatte den Lifestyle Kalifoniens verinnerlicht und schuf unverwechselbare Ikonen.

Foto: Cremer

Wenn sich heute in Musikvideos, auf fotografischen Inszenierungen oder bei Live-Performances Starlets wie Lady Gaga, Rihanna oder Katy Perry inmitten von nackten Schönlingen in knappen Dessous auf seidenen Laken nackt am Strand räkeln, oder - Achtung, Provokation! - in Versatzstücken aus der Sado-Maso-Abteilung Jünglinge mit Peitschen disziplinieren, ist den meist jugendlichen Betrachtern naturgemäß nicht bewusst, dass es sich hier um Epigonen - äh, pardon, Zitate - handelt. Mitte der 1970er-Jahre revolutionierten Fotografen wie Herb Ritts, Bruce Weber und Robert Mapplethorpe mittels ihrer schamlos inszenierten Obsessionen die Fotografie.

Herb Ritts' (1952-2002) Schaffen ist beispielhaft für die Vereinigung von Kunst, Pop, Society, Medien- und Musik-Business. Künstlerisch inspiriert von Freiheit und Eigenständigkeit im Sinne der Pop-Art sowie einem hedonistischen Lebensstil frönend, prägte er die Bildsprache renommierter Magazine wie GQ, Harper's Bazaar, Vogue, Vanity Fair oder Rolling Stone. Eng verflochten waren Schauspiel mit Kunst- und Modeszene. Andy Warhol zog die Fäden. Couturiers wie Versace, Armani, Calvin Klein und Valentino liebten Ritts' Fähigkeit, ihre Kreationen mit Sex und Glamour zu beleben.

Vertraulichkeit eines Therapeuten

Den noch unbekannten Richard Gere inszenierte er als jungen Gott. Unnachahmlich dessen Präsenz: hocherotisch, androgyn, lasziv, sprühend vor sexueller Kraft. Beispielhaft für das perfekten Körpern huldigende Universum Kaliforniens: Epizentrum von Film, Jetset, Glamour, Red Carpets, Ruhm und Reichtum. Ritts verstand es trotz der Oberflächlichkeit des Genres die Persönlichkeit der von ihm Abgelichteten einzufangen. Sein Zugang, sein Geheimnis entsprach der Vertraulichkeit eines Therapeuten. Persönliche Nähe und die daraus resultierende Ausstrahlung, die Aura der Fotos - natürlich wirkend trotz stilisierter Inszenierungen - machen die einzigartige Qualität aus. Das hinterlassene OEuvre, zum Großteil in archaisch-kargem Schwarz-Weiß gehalten, beeindruckt und beeinflußt bis heute.

Zahllose Fotoserien und Videos von Madonna, Chris Isaak, Janet Jackson und vielen anderen stammen aus seiner Hand. Models wie Cindy Crawford, Carré Otis, Helena Christensen, Tatjana Patitz, Stephanie Seymour, Naomi Campbell oder Christy Turlington erhob er zu Göttinnen. Stars wie Madonna, Arnold Schwarzenegger oder Michael Jackson setzte der in Los Angeles Geborene ikonografisch in Szene. Modeschöpfer wie Thierry Mugler und Jean-Paul Gaultier waren Seelenverwandte. Der Aura des Geheimnisvollen, gepaart mit Provokation zu entsprechen versuchen heute Nicola Formichetti und die sich selbst stets neu erfindende Lady Gaga für Mugler-Woman. Davon profitieren auch Ausstatter wie AND_i mit seinen exzentrischen Augenklappen et alii. Ritts' Stil prägte die Optik ganzer Generationen. Oft kopiert, doch nie erreicht. In seiner Liga spielen heute nur noch wenige.

Klassisch zeitlose Schönheit

Am einprägsamsten aber bleiben Ritts' Werkserien abseits der Auftragswelt: Erotische, oft homoerotische Akte, Inszenierungen von eleganter Schönheit und minimalistischer Stärke, die er mit durchtrainierten Athleten umsetzte. Ungeschönt posierend vor natürlichen Kulissen. Posthum mutierten seine Fotos zu Kunst. Paul Martineau, Kurator der in L. A. gezeigten Ausstellung, resümiert: "Ritts' Stern leuchtete hell und kurz. Er reflektierte die Träume und Wünsche einer Generation, bevor er erlosch." Der an den Folgen einer Aids-Infektion verstorbene Autodidakt schuf eine spezielle, bis heute gültige Ästhetik: klassisch zeitlose Schönheit. (Gregor Auenhammer, Rondo, DER STANDARD, 25.5.2012)