Der serbische Veteran Željko Joksimović kurz vor seinem Auftritt. Kam souverän ins Finale.

Foto: Marco Schreuder

Von Joana aus den Niederlanden hieß es leider Abschied nehmen.

Foto: Marco Schreuder

Litauens Donny Montell musste blind auf die Bühne. Am Samstag gleich noch einmal.

Foto: Marco Schreuder

Von 16 Ländern, darunter auch Österreich, mussten wir uns bereits verabschieden. Jetzt ist nur noch eine Frage offen: Wer gewinnt den Eurovision Song Contest 2012? Auch das zweite Semifinale konnte diese Frage nicht beantworten.

Das zweite Semifinale

Dieses Mal hatte ich Glück mit meinem Sitzplatz. Genau neben mir standen die Künstler und Künstlerinnen, kurz bevor sie auf die Bühne gingen. Einige Schnappschüsse davon findet ihr links.

Die Favoriten haben sich im zweiten Semifinale durchgesetzt: Serbien, Schweden, Türkei, Estland. Hinzu gesellen sich die Ukraine, Norwegen und Mazedonien. Mit Litauen und Malta konnten sich zwei Beiträge qualifizieren, mit denen man nicht unbedingt rechnen konnte. Von den klassischen ex-jugoslawischen Herzschmerz-Balladen konnte sich nur Bosnien & Herzegowina qualifizieren. Fans rechneten eher mit Slowenien.

Neben Slowenien hieß es auch Abschied nehmen von den Niederlanden, Portugal, Bulgarien, Kroatien, der Slowakei, Georgien und Weißrussland. Besonders das Ausscheiden der Niederländerin Joana und der Portugiesin Filipa Sousa wurde anschließend von den Eurovision-Fans vor Ort beklagt. Diese beiden Beiträge waren bei eingefleischten Liebhabern des Song Contests besonders beliebt.

Mit Humor wurde das Ausscheiden der Niederlande seitens der Delegation und JournalistInnen kommentiert: "Mit ein bisschen Glück schaffen wir den Rekord und werden das Land, das sich am häufigsten hintereinander nicht qualifiziert. Damit werden wir noch Eurovisionsgeschichte schreiben!" Das niederländische Fernsehen hat bereits anklingen lassen, 2013 trotzdem wieder dabei sein zu wollen.

Der Eurovision-Fan

Für Menschen, die den alljährlichen Bewerb nur aus dem Fernsehen kennen (eine Ausrichtung in Österreich steht ja nicht gerade unmittelbar bevor), stellen sich oft Fragen: Was sind das für Menschen, die Fan dieses Bewerbs sind und viel Geld ausgeben, um alljährlich hinzupilgern?

In jedem Land Europas gibt es einen Fanclub, der OGAE heißt. Diese Abkürzung steht für "Organisation Générale des Amateurs de l'Eurovision". Gegründet wurde der erste Fanclub 1984 in Finnland. Mittlerweile gibt es Fanclubs aber auch in Ländern, die nicht am Wettbewerb teilnehmen, etwa Australien, Neuseeland (in diesen Ländern ist der ESC sehr beliebt!), Südafrika und Kasachstan, die als "OGAE Rest of the World" einen eigenen Club haben. Auch Österreich hat einen Fanclub.

Vorteil, wenn man Clubmitglied ist: Man kann sogenannte Fan-Packages kaufen und sitzt bei Generalproben und bei den Bewerben meist direkt vor (oder neben) der Bühne. Fans schwenken ihre Fähnchen gerne bei jedem Lied und sorgen für gute Stimmung. Diese ist dann auch im TV spürbar.

Stefan Ball, OGAE Austria
Liebster Beitrag aller Zeiten: Schweden 1988
Favorit 2012: Estland

Foto: Marco Schreuder

Stefan Ball kommt zwar aus dem bayrischen Freising, ist aber aktives Mitglied der OGAE Austria. Beim deutschen Verein ist er auch Mitglied. Seiner Meinung nach sind wesentliche Merkmale eines echten Eurovision-Fans: "Weltoffenheit und Musikbegeisterung. Ein Fan interessiert sich für verschiedene Sprachen und Kulturen." So seien Fans etwa sehr begeistert, wenn ein Beitrag gleich in mehreren Sprachen veröffentlicht wird. "Fans sind meist nostalgischer als durchschnittliche Zuseher vor den Fernsehapparaten. So vermissen wir oft die früher vorgeschriebenen Orchester, die aber heute technisch gar nicht mehr möglich wären. Auch die Verpflichtung, in der Landessprache zu singen, wird von vielen Fans vermisst."

Dass unter den Fans besonders viele Schwule zu finden sind, findet Ball nicht außergewöhnlich: "In Kunstkreisen und rund um TV-Shows aller Art war der Anteil immer hoch. Dabei spielt das für die Fans kaum eine Rolle. Mitglied kann jeder und jede werden. Meist interessieren sich die heterosexuellen JournalistInnen mehr dafür als die Fans."

Wenn manche KommentatorInnen den ESC als "schwulen Event" bezeichnen, reagieren die Fans mit Verärgerung: "Wir wollen den Eurovision Song Contest gar nicht in eine schwule Ecke drängen. Er soll für alle da sein. Er ist kein politischer Event, auch wenn die Austragung einem Gastgeberland manchmal die Augen öffnet", so Ball. Als Beispiel dafür kann Belgrad 2008 dienen. Als der ESC dort ausgetragen wurde, arbeitete die serbische Polizei erstmals mit lesbisch-schwulen Vereinen zusammen, um einen Ratgeber für lesbische und schwule TouristInnen zu verfassen. "Der Event ist eine multikulturelle Party und damit zwangsläufig pro Minderheiten", so Ball.

Das Besondere am ESC sei, dass sich die Fans seit Jahren kennen und einmal im Jahr treffen. "Man freut sich schon das ganze Jahr darauf. Manche Fans sparen das ganze Jahr jeden einzelnen Cent, um den Event zu besuchen. Es kann sich ja nicht jeder leisten, zwei Wochen im Mai wegzufahren. Zudem werden Hotels rund um Großveranstaltungen traditionell immer unverschämt teuer."

Klaus Woryna, Präsident OGAE Germany
Liebster Beitrag aller Zeiten: Norwegen 1985
Favorit 2012: Russland

Foto: Marco Schreuder

"Die Mischung aus Fanatismus und Weltoffenheit" zeichne einen echten Eurovision-Fan aus, sagt der Präsident von OGAE Germany, Klaus Woryna. Wie sich dieser Fanatismus denn ausdrücke? "Ein Fan kann sich stundenlang über die Schuhe des Backgroundsängers vom siebten Beitrag der montenegrinischen Vorausscheidung 2007 unterhalten", meint er lachend.

Dabei sind Fans durchaus auch "böse und lästernd", wenn sie über Beiträge, Gesang, Kostüme oder Frisuren reden, aber eigentlich immer mit großem Respekt den KünstlerInnen gegenüber. Und mit Augenzwinkern. Echte Fans scheinen diesen Spagat zu schaffen.

Auch er definiert den ESC nicht primär als schwulen Event. Allerdings: "Eurovision ist friedlich und künstlerisch. Genau so was wird von Schwulen gerne angenommen, ganz anders als Fußball etwa. Denn der ESC ist kein Krieg der Länder, sondern primär eine gemeinsame europäische Party! Erst sekundär ist es ein Wettbewerb."

Woryna glaubt, dass Fans durch den Kontakt mit anderen Fans mehr von anderen Ländern erfahren als PolitikerInnen: "Als ich 2005 in Kiew war und ein Riesenfeuerwerk gezündet wurde, zuckte eine bosnische Freundin aus Sarajevo zusammen und erzählte mir von ihrer Erfahrung mit Snipern im Krieg."

Liam Whelan, OGAE UK
Liebster Beitrag aller Zeiten: Spanien 1991
Favorit 2012: Albanien

Foto: Marco Schreuder

Sein Facebook-Profil ist Angelpunkt vieler Eurovision-Fans in aller Welt und hat das ganze Jahr über nur ein Thema: Eurovision. Der in Großbritannien lebende Ire hat sein Leben auf den ESC ausgerichtet: "Meine Leidenschaft ist mit der Technologie mitgewachsen. Hatte ich anfangs Brieffreunde, hat sich durch den Zugang zu Livestreams und sozialen Netzwerken alles geändert."

Eurovision bedeutet für ihn alles: "Ich sozialisiere mich über den Eurovision Song Contest, ich plane meinen Haupturlaub im Jahr angepasst an den Event und ich forsche darüber." Es sei mehr als ein Hobby, ein Eurovision-Fan zu sein, so Whelan: "Dieses Hobby führt zu neuen Perspektiven über die Welt. Wenn ich etwa in einer Postcard (Einspielung vor einem Beitrag, Anm.) ein Gebäude sehe, dann will ich gleich wissen: Was ist das für ein Gebäude und was hat es damit auf sich?" Und so erfahre er viel über eine Stadt und seine Geschichte.

Er sei kein Nationalist und sein Schwulsein sei für ihn eine unbedeutende Identität: "Ich unterstütze einfach den Song, den ich am meisten liebe." Und das ist 2012 Albanien. Dafür rührt er seit Wochen die Werbetrommel: "Albanien 2012 wird vermutlich Spanien 1991 als meinen Lieblingsbeitrag aller Zeiten ablösen." Aber ganz entschieden hat er sich noch nicht.

Geschrieben von:
Marco Schreuder, OGAE Austria
Liebster Beitrag aller Zeiten: Italien 1984
Favorit 2012: Italien

(Marco Schreuder, derStandard.at, 25.5.2012)