Im Wiederbetätigungsprozess gegen Gottfried Küssel und zwei Mitangeklagte rund um die neonazistische Webseite Alpen-Donau.info ist nun also Halbzeit. Was nicht so geplant war - schließlich wollte das Gericht ursprünglich mit drei Verhandlungstagen und der Vernehmung von zwei Zeugen auskommen. Das hat sich im Laufe des Prozesses als erstaunlich optimistisch herausgestellt - obwohl es eigentlich absehbar war.

Gottfried Küssel hat sich in der Vergangenheit selbst als Nationalsozialist bezeichnet, tritt seit Jahren auch nach seiner Entlassung bei braunen Treffen auf, gilt als durchaus gefragter Redner. Dass er Interesse an einer neonazistischen Homepage hätte, über die die einschlägigen Inhalte verbreitet werden können, drängt sich auf. Nur: Im Gegensatz zu totalitären Systemen ist Österreich ein Rechtsstaat. Und in dem heißt glauben eben nicht wissen, falls man jemanden ins Gefängnis bringen will.

Indizien gegen Küssel gibt es durchaus. Allerdings sind die nicht immer ganz wasserdicht. Wenn eine Spitzenbeamtin des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung zugeben muss, dass es keinen technischen Nachweis gibt, dass Küssel einen Text auf die Seite gestellt hat, drängt sich die Frage auf, warum er dann unter anderem deswegen angeklagt ist.

Und wenn die Staatsanwaltschaft Wien selbst in einem Schreiben an ihre Kollegen in Hamburg festhält, dass der "Inhaber/Betreiber" der Seite, von dem auch die Zahlungen abgewickelt worden sind, ein namentlich bekannter Deutscher ist, ist völlig schleierhaft, warum dieser vom Gericht nicht automatisch als Zeuge geladen worden ist.

Noch problematischer ist die Tatsache, dass ursprünglich auch auf einen EDV-Sachverständigen verzichtet worden ist. Es war klar, dass sich die Geschworenen mit einer hochkomplexen Computermaterie beschäftigen müssen. Dann aber darauf zu vertrauen, dass der ermittelnde Beamte als Zeuge selbst objektiv erklärt, ob er seine Arbeit gut oder schlecht erledigt hat, ist eine zumindest mutige Annahme.

Und auch der Staatsanwalt legt sein Objektivitätsgebot offensichtlich recht weit aus, wenn er gegenüber den Geschworenen beispielsweise den deutschen Verdächtigen nicht erwähnt.

Im Gesamtbild drängen sich Parallelen zum Wiener Neustädter Prozess gegen die Tierrechtler auf. Auch dort hatte der Staatsanwalt bei der Verhandlung unter den Tisch fallen lassen, dass eine verdeckte Ermittlerin nichts Belastendes gefunden hat. Und die Verteidigung bewies, dass die von der Polizei vorgelegten Beweise nicht hieb- und stichfest waren.

Hier wie da könnte der Verdacht aufkeimen, dass von vorgesetzten Stellen beschlossen wurde, man müsse einen Erfolg vorweisen - und die Angelegenheit rasch erledigen, um demonstrieren zu können, wie gut und schlagkräftig Exekutive und Justiz arbeiten. Was dann das Vertrauen in das System erhöht. Doch das funktioniert nur, wenn rechtsstaatlich alles einwandfrei ist. Andernfalls stellt sich die Staatsgewalt als Husch-pfusch-Verein dar, dem es egal ist, ob die Wahrheit gefunden wird.

Egal, wie widerwärtig die Hintergründe von Taten sind, deren Aufklärung muss ein faires Verfahren sein. In der zweiten Halbzeit des Küssel-Prozesses besteht die Chance dafür, egal, wie er ausgeht. (Michael Möseneder, DER STANDARD, 29.5.2012)