Der Frankfurter Daniel Gerlich versucht nun in Wien, die Methoden der Mikroskopie weiterzuentwickeln.

Foto: STANDARD/Corn

STANDARD: Teilt sich eine Leberzelle genauso wie eine Hautzelle?

Daniel Gerlich: Über die Unterschiede der Zellteilung in verschiedenen Zelltypen ist erstaunlich wenig bekannt. Von Leberzellen wissen wir, dass dort häufig eine spezielle Form der Zellteilung stattfindet, bei der sich nur der Zellkern teilt, nicht jedoch der restliche Zellkörper. Damit entstehen Zellen, die zwei Zellkerne enthalten, im Gegensatz zu den meisten anderen Zellen wie zum Beispiel Hautzellen, in denen die Tochterzellen nur einen Kern enthalten.

STANDARD: Die Zellteilung, bei der zwei genetisch identische Tochterzellen entstehen, ist seit Jahrzehnten Schulbuchwissen. Welche Rätsel gibt sie noch auf?

Gerlich: Es ist schon viel bekannt - beispielsweise über die Mitose, also die Zellkernteilung. Wir wissen ungefähr, wie die Teilung reguliert wird. Doch zu den molekularen Mechanismen gibt es noch viele offene Fragen. Das ist eigentlich erstaunlich, denn sieht man sich das Textbuch an, entsteht der Eindruck, man hat das alles verstanden.

STANDARD: Was hat man noch nicht verstanden?

Gerlich: Etwa wie das Zellwachstum an die Zellteilung gekoppelt ist. Oder wie einzelne Teilprozesse der Zellteilung aufeinander abgestimmt werden. Je mehr man weiß, desto mehr Fragen tauchen auf. Hat man verstanden, wie die Zellstrukturen funktionieren, will man wissen, wie die einzelnen Moleküle funktionieren. Hat man die Struktur der Moleküle gelöst, will man ihre Zwischenstadien ermitteln. Ein Riesenproblem in der Biologie ist, dass wir eine so große Komplexität haben, aber so begrenzte Modellsysteme.

STANDARD: Mit welchen Zellen arbeiten Sie?

Gerlich: Wir schauen uns menschliche Zellen an, andere schauen sich Hefezellen an. Viele Dinge sind auf molekularer Ebene evolutionär konserviert. Aber letztendlich hat jedes Modellsystem sehr viele Eigenheiten. So ist es schwierig, zu einer großen Theorie, wie alles funktioniert, zu kommen.

STANDARD: Welcher Abschnitt der Zellteilung wird dabei genauer betrachtet?

Gerlich: Wir interessieren uns speziell für den Übergang von der Phase, in der sich die Zellen geteilt haben, zu jener, wo die einzelne neue Tochterzelle wieder wächst und ihr Erbgut verdoppelt. Hier findet eine dramatische Reorganisation in der Zelle statt. Dieser Übergang ist wenig beforscht. Zudem haben wir uns die Phase angeschaut, in der sich nach der Kernteilung der ganze Rest der Zelle teilt. Hier konnten wir mit einer Kombination aus Licht- und Elektronenmikroskopie neue spiralförmige Zellstrukturen aufzeigen, die wir jetzt versuchen auf molekularer Ebene zu verstehen.

STANDARD: Sie entwickeln neue Methoden für Ihre Forschung - was genau ist daran neu?

Gerlich: Die Methodenentwicklung ist für uns das Ziel, um an neue biologische Erkenntnisse zu kommen. Durch den Schwerpunkt können wir neue experimentelle Ansätze entwickeln und uns einen Vorteil verschaffen, indem wir offene Fragen bei der Zellteilung anders als andere Labors angehen. In der Computerwissenschaft mögen die Algorithmen, die wir verwenden, einzeln gesehen vielleicht nicht bahnbrechend neu sein. Aber die Strategie, damit biologische Probleme zu lösen, ist neu.

STANDARD: Welchen Ansatz verfolgen Sie dabei?

Gerlich: Mit der Hochdurchsatzmikroskopie können wir Millionen von Zellen in einem Experiment gleichzeitig beobachten und uns ansehen, wie sie auf unsere Störungsexperimente reagieren. Das heißt, wir haben zuvor in gewissen Zellen einzelne Genfunktionen ausgeschaltet. Unser Ziel ist, wichtige Kandidaten für die Regulation von Zellteilungsprozessen zu erkennen. Haben wir Kandidaten entdeckt, verfolgen wir diese über die Kombination und Neuentwicklung von hochauflösenden Mikroskopietechniken weiter.

STANDARD: Sie haben kürzlich eine Technik präsentiert, bei der der Computer selbstständig die Analyse von Zellteilungen übernimmt. Wie bringt man ihm das bei?

Gerlich: Der Computer kann mithilfe von Bildverarbeitungsalgorithmen die Textur und Gestalt von Zellen vermessen. Darauf aufbauend, können Techniken aus dem Bereich des "Machine Learning" dann Zellen mit ähnlichen Merkmalen gruppieren.

STANDARD: Das klingt nach einer engen Verknüpfung der Biologie mit der Computerwissenschaft.

Gerlich: Die Entschlüsselung des Erbguts wäre ohne Bioinformatik undenkbar gewesen. Man kann aber nach wie vor sagen, dass die Kommunikation zwischen Ingenieuren, Mathematikern, Computerwissenschaftern und Biologen schwierig ist. Hier das Optimum herauszuholen ist eine Herausforderung.

STANDARD: Was genau ist denn die Herausforderung?

Gerlich: Die Wissenschafter mit Computerhintergrund haben Schwierigkeiten zu verstehen, was biologisch relevant ist. Sie beißen sich oft an Problemen die Zähne aus, die auf experimentelle Weise einfach zu lösen wären. Viele Biologen haben wenig Verständnis dafür, was die schwierigen Hürden bei der Umsetzung von Computermethoden sind. Oft sind es triviale Änderungen im Experiment: Ein zusätzlicher fluoreszierender Marker kann zum Beispiel die ansonsten sehr komplizierte Detektion von Zellen durch den Computer extrem vereinfachen. Man muss also eine gemeinsame Sprache finden. (Lena Yadlapalli, DER STANDARD, 30.5.2012)