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Dieses Jahr verzichtet man auf die Anti-Blattlaus-Zapferln und die Läuse haben freie Fahrt.

Foto: dpa/frank rumpenhorst

Es ist angerichtet. Die Pflanzen stehen prächtig im Saft, das Grün grünt grüner, als man sich so ein Grün gemeinhin vorstellt, und der Garten duftet nach sattem Wachstum.

Sattes Wachstum ist aber auch Voraussetzung für die niemals Satten. Die niemals Satten fressen sich in die satt wachsenden, grüner denn grünen Frühlingsschoße und hinterlassen dort Löcher, Fressbahnen oder, im schlimmsten Fall, einfach nichts. Geht es den Pflanzen gut, geht es auch den Pflanzenfressern, Pflanzensaftsaugern und in Pflanzen Nistern gut. Die Schädlinge haben Hochsaison.

Seit März ziehen Schnecken ihre Bahnen, seit April färben Läuse die schönsten Triebspitzen schwarz, und wer den Schmetterling sehen will, muss die Raupen im Mai hinnehmen. Wer kann das schon? Wer besitzt jene Gelassenheit? Wie viele Jahrzehnte Gartenarbeit müssen einem ins Gesicht gefurcht sein, um mit diesen temporär-periodisch auftretenden Schädlingen gelassen umzugehen?

Montessorigärtnerei

Aber ein erster Schritt will getan sein. Dieses Jahr dürfen Raupen und Läuse machen, was sie wollen. Der benachbarte Montessori-Kindergarten färbt auch auf mich Gärtner ab. Ich lasse sie zu. Denn at last, das wird jede erfahrene Gärtnerin bestätigen können, gewinnt die Pflanze den Wettkampf mit dem Schädling. Denn sie wächst nach. Natürlich sieht ein Pfeifenstrauch elend aus, wenn ein Großteil seiner Triebe von Läusen schwarz überzogen ist, aber die Laus-Saison geht vorbei, und der Pfeifenstrauch steht immer noch, schiebt Achse um Achse und Blatt um Blatt nach und denkt sich wahrscheinlich: "Was juckt es die Eiche, wenn sich eine Sau daran reibt."

Dieses Jahr bleiben die Anti-Blattlaus-Zapferln in ihren Verpackungen. Es war mir auch nie ganz klar, wie ich die Zapferln in die Läuse schieben hätte sollen, geschweige denn, dass ich die Öffnung gefunden hätte. Und das Lesen von Anleitungen war noch nie meines. Darüber hinaus dauert die Laus-Saison nur zwei bis drei Wochen, dann verschwinden sie wie jedes Jahr von selber. Bon voyage!

Reizende Raupen

Bei den Raupen ist es nicht unähnlich. Alle schwärmen von Schmetterlingen, sehen diesen verträumt beim Flattern über den Beeten hinterher, aber keiner möchte deren Entwicklungsstadium Larve vulgo Raupe in seinem Garten wissen. Raupen reizen die Geduld selbst Geduldigster bis über die Grenzen aus. Sie fressen und fressen und fressen und legen dabei ganze Bäume kahl. Das sieht unglaublich erbärmlich aus, da zerreißt es dem Gärtner das Herz.

Aber nach ein paar Wochen unablässigen Fressens hängt sich die Raupe zur Ruh' und verpuppt sich zu einer schmetterlingen Pracht. Dann schlagen die Herzen wieder höher, die Pflanzen schieben wie gewohnt Blatt um Blatt nach, und keinen geniert es in Wahrheit.

Selbst die Nister können mich nicht mehr aus meinem Kling & Klang bringen. Früher, ja, da sah man den besorgten Gärtner noch jedes eingerollte Rosenblatt abzupfen, beseufzen und die dazugehörigen Wespen zum Teufel schicken. Aber das ist Geschichte. Soll die Wespe ruhig in meiner Schneewittchenrose ihre Brut hochziehen. Sie ist so starkwüchsig, dass sie den Verlust einiger Blätter wahrscheinlich gar nicht bemerkt. Und ich sehe das genauso, nämlich erhaben.

Jede Form von Erhabenheit geht aber verlustig, wenn die Schädlinge das erstmals vorhandene Gemüsebeet entdecken. Dann wird der Gärtner grün vor Wut wie seine Umgebung, lässt jede Ahnung von Contenance fahren und stürzt sich auf alles, das sich in sein junges Gemüse verbeißt und nicht seinen Nachnamen trägt. Da können die Montessoris noch so über den Zaun glotzen: Die Identifikation mit dem Salat ist längst passiert, das Unheil nimmt seinen Lauf. (Gregor Fauma, Rondo, DER STANDARD, 8.6.2012)