"Manche sind geboren um zu provozieren!" Das ist das aktuellste Posting (vom 24. Mai 2012) unter dem mittlerweile mehr als zwei Jahre alten Editorial zum Start von daStandard.at. In diesem Editorial kann man nachlesen, wieso es unsere Redaktion überhaupt gibt und welche journalistischen Ziele wir verfolgen. "Provokation" ist und war keine unserer Agenden, doch war und ist die Frage danach, wie eine "Migranten-Redaktion" bei den LeserInnen ankommen wird, für uns immer ein großes und hitzig diskutiertes Thema.

Seltene Erfahrung

JournalistIn und gleichzeitig MigrantIn beziehungsweise Mensch mit Migrationshintergrund, Mensch mit anderer Hautfarbe (oder einfach nur mit einem fremd klingenden Namen) zu sein ist eine Erfahrung, die wir mit wenigen anderen in Österreich teilen. Dass Menschen wie wir in Mainstream-Medien vertreten sind und hier als Meinungsmacher und Kommentatoren auftreten, ist neu und für einen Teil der Leserschaft anscheinend schwer einzuordnen und zu verkraften. Wie kann man sich sonst Postings wie das Folgende erklären: "Frau Stajic, haben Sie eine gültige Aufenthaltsgenehmigung?" Oder aber etwas ausführlicher, entlarvender und konkreter: "Frau Staric (sic!) Auf dem Gebiet des heutigen Österreich wird seit mehr als 1300 Jahren aussschliesslich Deutsch gesprochen (Ausnahme: Burgenlandkroaten, Steirerslowenen). Wenn sie das nicht wahrhaben wollen bitte gehens zurück nach Jugoslawien und gebens dort ihre ewig naiven Weisheiten zum besten. Österreich ist weder Vielvölkerstaat noch Einwanderungsland ! Lernens Geschichte -die hat nicht erst 1945 begonnen."

Und in der Türkei?

Wir mögen wieder (wohin auch immer) zurückkehren und das "Österreich-Bashing" lassen, wird immer wieder gefordert – oft auch in einem Ton, der klar gegen unsere Forenregeln verstößt. Ein anderer beliebter Zugang ist der Hinweis, dass es in unserer angeblichen Heimat auch Missstände gibt, die wir doch gefälligst ebenfalls kritisieren sollen: "na dann hoffe ich dass frau alvir uns bald mit einem neuen spannenden artikel beglückt und uns erklärt warum es in ihrem herkunftsland besser klappt!" Oder auch: "Lieber Herr (sic!) Alkan, wie viele Stupas gibt es denn in der Türkei?" Und natürlich auch: "Dann wird die politische Lage im eigenen Land besser sein, hm?"

Muss im Jahr 2012 immer noch betont werden, dass wir uns sehr wohl "im eigenen Land" befinden, dass wir als Teil dieser Gesellschaft in Mainstream-Medien Mitspracherecht und sogar die Pflicht zur Diskussion (und Kritik) aller gesellschaftlichen Problemstellungen haben? Die Lage in unseren angeblichen Heimatländern oder den Herkunftsländern unserer Eltern interessiert viele von uns gar nicht – da haben wir teilweise auch keine Kompetenz und sehen uns auch nicht als Sprachrohr.

Wir sind österreichische JournalistInnen, die endlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Wir sind da und bleiben auch da. "aber, da und wie lange noch???", fragt ein Leser in einem Posting. daStandard.at wird es wohl so lange geben, solange es nicht zur Selbstverständlichkeit gehört, dass Migranten und ihre Nachkommen als bedingungsloser Teil der öffentlichen Meinung akzeptiert werden - mit dem Recht, zu kritisieren und Stellung zu beziehen, ohne dabei auf die Herkunft der Eltern oder Großeltern reduziert zu werden. (Olivera Stajić, daStandard.at, 11.6.2012)