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Trans- und Intersex-Personen werden als PatientInnen mit wenig Mitspracherecht über ihre Identitäten und Körper gesehen, und die Behandlungen entsprechen oft nicht ihren persönlichen Bedürfnissen, sondern den institutionellen Erwartungen, sagt der Bericht.

Foto: REUTERS/Edgard Garrido

Die Vorstellung, dass es zwei biologisch klar definierte Geschlechter gibt, in die jeweils unterschiedliche Rollen und Verhalten eingeschrieben sind, liegt tief im europäischen Denken begraben. Dieses binäre Geschlechtermodell produziert Normen, die für viele Menschen, auf die sie nicht zutreffen, zu großen Hürden werden: Im alltäglichen Leben und Umgang mit anderen, im Berufsleben sowie auf rechtlicher Ebene werden Transpersonen und Intersexuelle auch in den Ländern der Europäischen Union diskriminiert.

Dabei sollte gerade die EU hier Vorbild sein, meint Ulrike Lunacek, seit 2009 im EU-Parlament und Ko-Präsidentin der dort installierten "LGBT Intergroup". Zwar hat das Europäische Parlament bereits 1989 eine Resolution gegen die Diskriminierung von Trans- und Intersexuellen verabschiedet, doch erst 21 Jahre später die erste Konferenz zum Thema abgehalten, um die Frage "(Trans)Gender Equality?" näher zu beleuchten.

Erster offizieller Bericht

Einen wichtigen Schritt machte die EU-Kommission nun mit der Veröffentlichung des ersten offiziellen Berichts zur Situation von Trans- und Intersexuellen am Montag. Die fast hundert Seiten starke Studie, vom "Network of Legal Experts in the Non-discrimination Field" der Kommission herausgegeben, soll Basis für kommende Antidiskriminierungsmaßnahmen auf EU-Ebene sein. Die AutorInnen Silvan Agius von ILGA- Europe (International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association) und Christa Tobler von der Universität Leiden (Basel) haben ausgehend von vorhergehenden Studien von ILGA-Europe, Transgender Europe (TGEU) und der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte untersucht, mit welchen Formen der Diskriminierung Trans- und Intersexuelle nach wie vor umgehen müssen, wie die einzelnen EU-Länder sie rechtlich behandeln und welche Antidiskriminierungsgesetzgebung die EU bereitstellt.

Nur keine Dissonanzen

Vor allem die Anforderungen, die die GesetzgeberInnen an die Betroffenen stellen, befinden die ForscherInnen als problematisch: Das biologische "Make-up" muss mit dem amtlich erfassten Geschlecht übereinstimmen. Zeigt sich eine Dissonanz zwischen biologischem Geschlecht und Gender, greifen pathologisierende Sichtweisen, wie sie auch von der WHO etabliert sind. "Trans- und Intersex-Personen werden als PatientInnen mit wenig Mitspracherecht über ihre eigene Identitäten und Körper gesehen, und die Behandlungen, die ihnen angeboten werden, entsprechen oft nicht ihren persönlichen Bedürfnissen oder Vorstellungen, sondern den sozialen und institutionellen Erwartungen", schreiben die AutorInnen. Diese oft unnötigen, aber zwingenden Behandlungen, unter die selbst Sterilisation oder eine "vollständige Geschlechtsanpassung" fallen, seien formalrechtliche Voraussetzungen für die Betroffenen, um überhaupt Zugang zu Sozialleistungen (über Krankenkassen, Anm.) zu erhalten.

Schieflage am Arbeitsmarkt

Einschnitte wie genannte führen die AutorInnen auf das heteronormative Geschlechtermodell zurück und befinden auch dessen sonstige Auswirkungen als signifikant: Geschlechterstereotypen, Sexismus und Schieflagen für Frauen am Arbeitsmarkt. So führen sie die Studie von Schilt und Wiswall (2008) an, die sich mit Arbeitsplatzerfahrungen von Transsexuellen beschäftigt hat: Die durchschnittliche Entlohnung steigt bei Frau-zu-Mann-Transpersonen leicht an, während sie bei Transfrauen um beinahe ein Drittel absackt. "Eine Frau zu werden bringt oft einen Autoritätsverlust, Belästigung und Kündigung mit sich, ein Mann zu werden bringt oft mehr Respekt und Autorität ein." Generell haben es Transpersonen am Arbeitsmarkt schwerer: Die in der Studie erfassten Zahlen zeigen eine deutliche Kluft zwischen der Erwerbsquote von Frauen (57 Prozent) und Männern (72 Prozent) zu Transfrauen (40 Prozent) und Transmännern (36 Prozent).

Transphobie

Das Thema transphobe Gewalt beleuchten die AutorInnen anhand der Studie "Transphobic Hate Crimes in the European Union" (2009), die erstmals quantitative Ergebnisse zu Hassverbrechen gegen Transpersonen in der EU geliefert hat. Demnach wurden 44 Prozent der Befragten schon beschimpft, 27 Prozent verbal belästigt, 15 Prozent bedroht und sieben Prozent körperlich misshandelt. Eine britische Online-Befragung legt nahe, dass Transfrauen ein höheres Risiko haben, transphobe Gewalt zu erleben. Zahlen aus Italien zeigen die meisten Fälle an Belästigungen auf der Straße, in Griechenland kommt es - neben Deutschland und Großbritannien - am häufigsten zu verbalen Übergriffen und auch zu Bedrohungen. Aus Frankreich wurden die meisten Fälle von sexuellem Missbrauch gemeldet.

Keine Nennung

Der Hauptteil der Studie befasst sich mit den Antidiskriminierungsgesetzen in der EU: Hier fehlt nach wie vor ein explizites Verbot der Diskriminierung aufgrund Geschlechtsidentität und Geschlechtserscheinung. Im "Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union" (2009) wird in Artikel 19 festgehalten, dass "Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen" sind. Auch in der Grundrechtscharta fehlt der Bezug auf Transidentität.

Verwirrte RichterInnen

Diese Auslassungen besagen aber nicht, dass die EU ganz zahnlos im Fall von Trans-Diskriminierung ist. Die entsprechenden Fälle werden am Europäischen Gerichtshof unter dem Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts abgehandelt - was in der Spruchpraxis bislang öfters für Verwirrungen sorgt, schildern die AutorInnen in Fallbeispielen. Die GesetzgeberInnen und RichterInnen hätten zu wenig Erfahrung und Bewusstsein im Umgang mit dem breiten Spektrum, das sich hinter "trans" verbirgt, konstatieren die AutorInnen, weil sie bislang nur mit Fällen von KlägerInnen, die in Folge einer Geschlechtsanpassung diskriminiert wurden, zu tun hatten.

Deutsches Vorbild

Um der Verpflichtung der EU zur Wahrung von Menschenrechten und Menschenwürde auch und vor allem von Minderheiten zu entsprechen, empfiehlt die Studie den GesetzgeberInnen eine möglichst breite Interpretation einer "Diskriminierung wegen des Geschlechts", wie sie in der EU-Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten festgehalten ist. Wie das aussehen könnte? Wie in Deutschland. In Österreich hätten die am Europäischen Gerichtshof durchjudizierten Fälle zwar Standards in der Spruchpraxis geschaffen, aber vor allem die juristische Handhabe unserer NachbarInnen gäbe ein gutes Beispiel für Resteuropa ab. (Birgit Tombor/dieStandard.at, 14.6.2012)