Machte Texte nicht nur von Jacques Derrida im deutschen Sprachraum zugänglich: Peter Engelmann, Verleger-Philosoph.

Foto: Passagen Verlag

Der Passagen Verlag zählt 25 Jahre. Porträt eines Wunders.

Wien - Seine Karriere als Wissenschaftsverleger war dem Philosophen Peter Engelmann (65) nicht an der Wiege gesungen worden. Seit 25 Jahren betreut Engelmann mit eiserner Konsequenz den Wiener Passagen Verlag. Nach Wien war der gebürtige Berliner 1979 eher zufällig gekommen: "Ich war kein Wien-Liebhaber. Darin bilde ich wahrscheinlich eine Ausnahme unter den Deutschen."

Eine Uno-Konferenz für Entwicklungshilfe bedeutete den ersten Schritt zur Sesshaftwerdung. Engelmann: "Da ich in Deutschland nicht wirklich Wurzeln hatte, kam ich öfter hierher. Ich erhielt auch rasch einen Lehrauftrag für Philosophie. Jemanden am hiesigen Institut hatte meine Hegel-Arbeit interessiert."

Engelmanns Hegel-Kenntnisse erklären noch nicht zur Gänze, warum der Passagen Verlag heute das bedeutendste deutschsprachige Verlagshaus für französische Gegenwartsphilosophie ist. Wer die so häufig missverständlich gebrauchten Begriffe der "Postmoderne", der " Dekonstruktion" verstehen will, der muss zu Engelmanns weißen Bänden greifen.

Die Strenge der äußeren Form lässt die Mühen des Verstehens bereits erahnen. Aber die Texte von Jacques Derrida oder Jean-François Lyotard, um nur zwei Galionsfiguren zu nennen, eignen sich kaum für flüchtige Querfeldeinlektüren. In den Schlüsselwerken der Postmoderne steht nichts Geringeres als die abendländische Vernunftkritik auf dem Spiel.

Seine eigene Biografie referiert Engelmann auf Nachfrage kurz und schmerzlos: "Schule in der DDR, Studium in der DDR, Konflikt mit dem Staat." Engelmann verbrachte ein Jahr im Stasi-Gefängnis, ehe ihn die Bundesrepublik Deutschland freikaufte.

"Das alles bildet die Vorgeschichte", sagt Engelmann, ein schmaler, distinguierter, die Worte auffällig sorgsam wählender Intellektueller. Seine furchtbaren Erfahrungen mit dem Staatssozialismus hätten bei ihm " viele offene Fragen" hinterlassen. Mit der Philosophie war er in der DDR in Berührung gekommen: "Die einzig erlaubte Philosophie dort war, je nach Periode, der dialektische oder der historische Materialismus." Ohne Marx ging gar nichts.

Engelmanns Blick zurück auf seine Wanderjahre macht nur zu erschreckend deutlich, welche zentrale Stellung der Marxismus in der Ordnung der meinungsbildenden Öffentlichkeit hatte (und manchmal noch heute besitzt). Zum einen entwickelten die Materialisten eine Vielzahl von Positionen: strukturalistische, subjektivistische. Aufgrund seiner außerordentlichen Vielgestaltigkeit überstand der Marxismus auch verheerende Krisen. Zum anderen litt die Linke am permanenten Befall durch den Spaltpilz. Engelmann trocken: "Man muss bedenken, dass es sich seit der Gründung der Sowjetunion um Leben-oder-Tod-Positionen handelte." Das Einnehmen einer "falschen" Position wurde häufig genug mit der Liquidation des "Abweichlers" geahndet.

"Flucht" nach Frankreich

Engelmann: "In den 1970ern war das noch alles sehr lebendig. Wenn man in die Bundesrepublik kam, traf man auf nicht geklärte Positionen. Ich bekam in Bremen ein Graduiertenstipendium, und plötzlich sah ich mich mit lauter DDR-Liebhabern konfrontiert. Ich bin nach Frankreich ausgewichen, weil mir das zu blöd war."

Der Heimatlose lernte in Paris alle diejenigen Philosophen kennen, die dann später seine Autoren werden sollten: "Jacques Rancière, der eben jetzt wieder an Wichtigkeit gewinnt, schrieb das erste Gutachten über ein Stipendium, das ich bekommen sollte."

Engelmann traf an der Seine auf Gesprächspartner wie den Philosophie-Star Michel Foucault: "Das Interesse der Franzosen an mir bestand darin, dass ich die Kenntnis des marxistischen Raums besaß, und natürlich auch, was besonders Foucault interessierte, dass ich Erfahrungen mit Gefängnis und Stasi gesammelt hatte: also mit dem Repressionsapparat." Der Rest ist eine höchst ungewöhnliche Erfolgsgeschichte: Aus einer ersten Edition entstand 1987 der Buchverlag. Engelmann erlernte das Verlegerhandwerk beinahe wider Willen: "Verleger sein war nie mein Wunsch. Ich wollte Bücher lesen, nicht machen."

Heute hat sich Engelmann durchgesetzt: gegen die deutschen Machtstrukturen in Frankfurt (Suhrkamp) und Berlin. Der Autodidakt setzte der Unterdrückung französischer Philosophie-Titel im deutschen Sprachraum ein Ende. Aus dem "Meinungsprogramm" einer Kleinedition ist das "Toleranzprogramm" eines unverzichtbaren Hauses geworden.

Zum Jubiläum wächst und gedeiht nun u. a. die Reihe "Passagen Gespräche" . Jüngster Titel: Philosophie und die Idee des Kommunismus, ein Diskurs Engelmanns mit Alain Badiou. Kommunismus? Ein Widerspruch? Nein, die Erde dreht sich weiter. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 18.6.2012)