Mit aus Biomasse gewonnenem Ethanol - hier abgenagte Maiskolben - soll die Energiewende kommen.

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Novozymes-Vorstand Falholt: "Es macht ökonomisch keinen Sinn, Biomasse weiter als 50 Kilometer zu transportieren."

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2030 sollen so 50 Prozent des Treibstoffbedarfs ersetzt worden sein - sparsamere Motoren einberechnet.

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Auch mit den Hülsen der Pflanzen - hier wieder Mais - funktioniert es.

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Angst vor Bioethanol oder seinen Beimischungen - siehe E10 - ist laut Novozymes-Manager Falholt unangebracht. Freudig tanken schon eher.

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Kopenhagen/Wien - Die Dänen sind ein korrektes, höfliches, zurückhaltendes Volk. Unbescheiden sind sie nur, wenn es um ihre Ideen oder Errungenschaften geht. Dann muss es raus aus ihnen. "Jeder Europäer nutzt unsere Produkte", freut sich Per Falholt. Der 53-jährige Däne ist Forschungsvorstand des Unternehmens Novozymes, das Biospritproduzenten, Waschmittelhersteller und Großbäckereien mit seinen Industrieenzymen beliefert. Seine Vision ist die einer Gesellschaft ohne Öl. Richten sollen es Biotreibstoffe der zweiten Generation.

Stroh statt Nahrung

"Heute basiert die ganze Welt auf Öl", sagt Falholt. Egal ob Kleidung, Autos oder Plastikflaschen. Auch in Dingen, die man nicht mit dem schwarzen Gold in Verbindung bringt, wie Waschmittel oder Lacke, ist es omnipräsent. Doch Öl wird teurer, der durch seinen Verbrauch bedingte Einfluss auf das Weltklima immer mehr zum Thema. Dass es zum Öl keine Alternative gäbe, das glaubt Falholt nicht. Im Gegenteil, die Natur habe den Menschen alle Lösungen gegeben. "Wir müssen sie uns nur noch holen".

2030 werde man nicht mehr darüber diskutieren, ob herkömmlichem Sprit fünf oder zehn Prozent Bioethanol beigemengt werden. Ziel sei es, die Hälfte des Benzins durch Ethanol zu ersetzen. Mais, Zuckerrohr oder Weizen seien dafür aber viel zu schade. "Wir werden das für Nahrung brauchen", so Falholt. Biomasse sei quasi der neue heilige Gral, den es zu nutzen gelte. Aus organischen Abfällen wie Stroh gewonnener Treibstoff (Zellulose-Ethanol) soll Autos und Maschinen der Zukunft bewegen.

Halbe Billion zu investieren

Wenn da nicht die kleinen Schönheitsfehler in Falholts Rechnung wären. Der Chemiker stützt sich bei seinem Zeitplan auf eine von Novozymes in Auftrag gegebene Studie des Finanzdienstleisters Bloomberg. Und der geht davon aus, dass dafür Investments in der Höhe von 512 Milliarden Dollar (406 Milliarden Euro) bis 2050 nötig sind.

Um diese Gelder aufzustellen, ist auch die Politik gefragt. Die Studienautoren fordern vor allem für die nächsten fünf Jahre staatliche Anreize. Es gelte, einmal die Räder in Bewegung zu bringen, laufen würde das Business dann schon von alleine. Unter den Anreizen finden sich monetäre - Förderungen, Darlehen und Bankgarantien in etwa - aber auch nicht-monetäre Anreize, zu nennen wären etwa der freie Marktzugang für ausländische Wettbewerber und verpflichtende Abnahmemengen. Letzteres kennt man in Europa durch E10, jene verpflichtende zehnprozentige Biospritbeigabe zum Superbenzin, die in Deutschland und anderen Ländern die Wogen hoch gehen lässt. In Österreich soll sie im Herbst dieses Jahres kommen. "Dabei ist doch die Umrüstung eines Autos eine Frage von 100 bis 150 Euro", kann zumindest Novozymes-Vorstand Falholt die Aufregung nicht verstehen.

Weitaus revolutionärer wäre da schon der Einfluss auf das Energiesystem als Ganzes. Während Rohöl heute durch die Welt gepumpt und verschifft wird, um in einigen wenigen Raffinerien zu Benzin, Diesel und Heizöl verarbeitet zu werden, müsste Bio-Ethanol vor Ort produziert und verbraucht werden. "Es macht ökonomisch keinen Sinn, Biomasse weiter als 50 Kilometer zu transportieren", so Falholt. Die Folge wären über 1.000 "Bio-Raffinerien", die es erst zu bauen gilt.

Wunderding Enzyme

Diese Raffinerien aufstellen würde die im Umland von Kopenhagen ansässige Firma ohnehin nicht. Sie betreibt selbst keine Anlagen, liefert allerdings jene Stoffe, ohne die das aus Mais, Getreide oder Zuckerrohr gewonnene Stroh nicht zum Energieträger wird: Enzyme. Novozymes holt sich diese Stoffe aus der Natur. Was gut ist, denn es gibt mannigfaltig davon. Ohne Enzyme gäbe es kein Leben, würde der Mensch nicht Nahrung in Energie umwandeln können, Erbinformationen nicht weitergegeben werden.

Das Unternehmen, bei dem das Wort Enzym schon im Namen steckt, prüft die zu Tausenden in der Natur vorkommenden Stoffe dann auf konkrete Anwendungsbereiche. Von den Dänen entdeckte Enzyme machen etwa Brot länger frisch, die Krume farbkräftiger und blasen einen Laib bei gleichem Gewicht im Volumen auf. Sie helfen auch, Waschmittel umweltverträglicher zu machen oder Spaghetti nicht so schnell zerkochen zu lassen.

Aufbereitet werden diese Enzyme im 15 Kilometer von Kopenhagen entfernten Vorort Bagsvaerd. Ein Rundgang durch den Geschäftsbereich "Household Care" offenbart eine der umsatzträchtigsten Produktfamilien der Dänen: Enzyme für die Waschmittelindustrie. In teils maschineller, teils manueller Kleinstarbeit werden zigtausende Enzyme auf ihre Lösbarkeit von Flecken getestet. Dabei werden sowohl verschiedene Verschmutzungsarten - von Rotwein, über Tinte bis Fett - als auch verschiedene Gewebe berücksichtigt.

Hat es eines dieser Stoffe einmal in die Endauswahl geschafft, darf es zum Königstest in eine echte Waschmaschine. Das Siegerenzym wird dann, um unbeabsichtigtes Einatmen zu verhindern, in Salz eingeschlossen und werkt sodann als fingerkuppengroßer Blättchenhaufen in einer Packung Waschmittel. Diese Enzyme bewirken einerseits, dass weniger schädliche Tenside gebraucht werden. Andererseits können die Kleidungsstücke auch bei stärkerer Verschmutzung mit niedrigen Temperaturen gewaschen werden, was Energie spart.

Marktkaiser USA

Genau diese Wunderdinger will Novozymes nun auch beim Biosprit 2.0 einsetzen. Genauer in der "enzymatischen Hydrolyse". Dabei werden mit Hilfe von Wasser chemische Verbindungen aufgespalten und aus Stroh zellulosehaltiger Zucker gemacht, aus dem wiederum Ethanol oder Plastik gewonnen werden. Dass sowohl der Markt da, als auch die Infrastruktur machbar ist, glaubt Unternehmensvorstand Falholt fest. Europa werde zusehends abhängiger von Rohölimporten, zudem zeige das Beispiel Brasilien, dass ein Wechsel des Energieträgers möglich wäre.

Richtig ist, dass die Rohöl-Eigenproduktion in der EU von über 15 Prozent des Gesamtverbrauchs (2010) auf weit unter zehn Prozent zurückgehen könnte (2035). Das prognostiziert der World Energy Outlook der Internationalen Energieagentur (IEA). 2015 wird die Union trotz sinkenden Verbrauchs die USA als größter Ölimporteur ablösen, um dann das Staffelholz 2020 an China abzugeben.

Das Beispiel Brasilien, wo rund zwei Drittel der Treibstoffe Bioethanol erster Generation sind, ist allerdings ein Solitär. In den USA, wo seit der Regierung George W. Bush stark auf verspriteten Mais gesetzt wird, hatten Agrotreibstoffe im Jahr 2010 acht Prozent Marktanteil. In absoluten Zahlen sind die Vereinigten Staaten mit 45 Milliarden Litern Bioethanol freilich größter Konsument. Weltweit werden weniger als 100 Milliarden Liter hergestellt. In dem von Bloomberg durchgerechneten Szenario könnte das Produktionsvolumen auf 350 Milliarden Liter bis 2030 steigen - und dabei aus Biomasse stammen. Massive Investitionen und politische Rahmenbedingungen vorausgesetzt.

Trotz Mehrverbrauchs gut fürs Klima

Abseits dieses Szenarios ist aber eines klar: Treibstoffe werden teurer. Laut der Studie belaufen sich alleine die Raffineriekosten auf mindestens 1,5 Dollar (1,19 Euro) pro Liter Biomasse-Ethanol. Dazu kommen die Kosten für den Rohstoff Stroh, die sich zwischen fünf und zehn Cent pro Kilogramm belaufen. Dann muss der Sprit noch zur Tankstelle transportiert werden, wo der Händler auch seinen Teil mitschneidet. Und schließlich hebt der Staat Steuern ein. Auf mehr als zwei Euro pro Liter käme der Sprit dann locker.

Was das Klima betrifft, bringt die nächste Generation des Bioethanols laut Bloomberg um 80 Prozent weniger Treibhausgas-Emissionen mit sich. Das heißt aber nicht, dass der CO2-Ausstoß im selben Ausmaß zurückgeht. Der Brennwert von Ethanol ist nämlich fast ein Drittel geringer als jener von Benzin. Man kommt mit einem Liter weniger weit. Unter dem Strich würden aber zumindest in der EU noch immer 50 Prozent weniger Emissionen übrig bleiben. (Hermann Sussitz, derStandard.at, 19.6.2012)