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Eine Fanin mit dem Abbild des von ihr geliebten Justin Bieber.

Foto: ap / Alexandre Meneghini

Der versucht derweil, ohne Schaden erwachsen zu werden.

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Der Glaube, so heißt es, könne Berge versetzen. Vielleicht heißt das neue Album von Justin Bieber deshalb "Believe". Es ist erst der zweite Longplayer des 18-jährigen Kanadiers, dennoch gilt "Believe" jetzt schon als meistverkauftes Album des Jahres und sein Schöpfer als der bestverkaufendste Popstar unsere Tage. Auf 55 Millionen Dollar wird Biebers Verdienst aus dem Vorjahr geschätzt, sein Marktwert in der Werbung ist astronomisch.

Was vielen Anlass gibt, an ihrem Glauben zu zweifeln, muss Bieber als wahr gewordenes Märchen erscheinen. Oder als Vorsehung. Schließlich ist Justin der Sohn einer gottesfürchtigen alleinerziehenden Mutter, die Justin lieber als Pastor Freude spenden sehen wollte denn als Popstar, der Teenager auf der ganzen Welt zur Raserei treibt.

Doch für ihn stellt das keinen Widerspruch dar. Er sagt, er würde regelmäßig beten und sich bei Gott bedanken, in dessen Händen er all unsere Geschicke liegen sieht. Da wundert es nicht, dass er gegen Abtreibung auftritt, Sex ohne Liebe nicht richtig findet und mit der Einschätzung aufhorchen lässt, sexuelle Orientierung sei eine freie Entscheidung. Gleichzeitig unterstützt er Organisationen, die Suizidprävention unter Lesben, Schwulen und Transsexuellen betreiben. Alles ist sehr kompliziert.

Sogar das mit dem Erfolg. Denn wie alle großen Teenie-Stars steht Bieber vor der Aufgabe, seine Musik seinem Alter anzupassen, ohne die Fans zu verlieren. "Believe" ist so betrachtetet der Versuch eines Übergangswerks. Der darauf zu hörenden R 'n' B soll die Fans bei der Stange halten, gleichzeitig Biebers Entwicklung zulassen, ihn als erwachsen werdenden Künstler präsentieren, was sich in zeitgeistigen danceorientiertem Pop niederschlägt. Früher oder später wird das Tränen geben.

Der Heintje aus dem Internet

Aber das ist keine neue Erkenntnis, denn das haben Robbie Williams oder Justin Timberlake und ihre Fans schon durchgemacht. Auch Michael Jackson hat es er-, aber nicht überlebt. Doch keiner war dabei so auf sich gestellt, kam so aus dem Nichts wie Bieber.

Begonnen hat seine Karriere vor rund vier Jahren, als er Songs auf Youtube hochgeladen hatte. Sie zeigen eine singende Kaulquappe, die leidenschaftlich R-'n'-B-Titel interpretiert. Die Clips dieses Heintje der Generation Youtube entwickelten sich zu Selbstläufern, und bald wurde der Talente-Scout Scooter Braun auf ihn aufmerksam und bei Biebers vorstellig. Das stürzte Justins Mutter, Patricia Lynn Mallette, sogleich in Zweifel. Konnte Gott ihrem Sohn nicht einen nichtjüdischen Entdecker schicken? Aber wen der Herr liebt, den prüft er - Braun wurde Biebers Manager.

2010 erschien Biebers Debüt "My World 2.0". Das Video zur Single ist das populärste in der Geschichte des Internetportals Youtube - gleichzeitig gilt es als eines der schlechtesten aller Zeiten. Doch Kritik kann seinen Erfolg nicht schmälern, sind seine Fans doch in einem Alter, in dem er ihre erste bedingungslose Liebe verkörpert - nach den Eltern, aber deren Bedeutung schwindet ja gerade.

Und diese Liebe wird erwidert. Zumindest virtuell. Justin Bieber scheint 24 Stunden am Tag online zu sein. Nur Lady Gaga folgen via Twitter mehr Fans als ihm. Der fleißige Bieber und seine Gefolgschaft, die "Beliebers", verantworten bis zu drei Prozent des gesamten täglichen Twitter-Verkehrs. Noch nie zuvor ist jemand so öffentlich aufgewachsen wie er - schon gar nicht freiwillig.

Berühmte Rückenwindfrisur

Unter diesen Voraussetzungen versucht sich Bieber nun neu zu positionieren. Erster Vorbote der Veränderung war eine neue Frisur. Die zu seinem Markenzeichen gewordene Rückenwindfrisur, die er mit ungesund wirkendem Kopfruck in Form brachte, wich einem Haarschnitt, der in jeder Fußballmannschaft auftaucht und eine Elvis-Presley-Tolle antäuscht. Und den Albumtitel "Believe" hat er sich wie ein wilder Hund in den Arm tätowieren lassen. Wenn's denn wahr und nicht nur Malerei ist.

Musikalisch schlägt sich das wenig und nur mäßig gelungen nieder. Bieber versucht stellenweise mit der Hereinnahme von Hip-Hop-Charakteristika eine erwachsene Aura herzustellen. In diesen Liedern wirkt er verloren, denn meist ersäuft seine Stimme im Mix, wird elektronisch verfremdet oder vom Rap eines Gastsängers überschattet.

Das passt nicht zu der naiven Emotionalität, die seine besten Lieder ausmachen. In denen wirkt er so glaubwürdig, weil er die Welt mit den Augen eines Heranwachsenden betrachtet. Besonders gilt das für seine Liebeslieder, meist Balladen, die er im selben Duktus vorträgt, wie ein Muttertagsgedicht es verlangt.

Die ersten Dämonen

Dazu gesellen sich Chöre, die seiner Mischung aus Positivismus und Zweifel einen kollektiven Anstrich verleihen: Zusammen sind wir stark, wir schaffen das. Damit macht er es sich im Kitschfass gemütlich, schunkelt, wie die Mannschaft, die seinerzeit "We Are The World" gesungen hat. So funktionieren der titelgebende Song des Albums oder "Fall". Sie zählen mit "Die In Your Arms" zu den besten.

Am Ende stellt Justin sich noch einem der wenigen Dämonen seines jungen Lebens. Im Lied "Maria" thematisiert er eine Stalkerin, die behauptet hatte, Bieber hätte sie geschwängert. Wen Gott liebt, den prüft er. Das gilt selbst für den kleinen Bieber. Mit der Unschuld eines Kindes staunt er über eine der Grausamkeiten, die das Leben bereithält - und Millionen Fans werden Zeugen und fühlen mit ihm.

Das geht rein, ein 18-Jähriger, der die Welt erkundet und nahezu alle Mittel dafür zur Verfügung hat. Wie im Märchen. Das sollte er genießen. Schließlich ist er auf seinem Terrain zurzeit konkurrenzlos; und erwachsen wird man ohnehin - so der Herr es will.  (Karl Fluch, DER STANDARD, 29.6.2012)