Aufwachen in der Wüste Gobi nach der Narkose: Wildkamele wie dieses sind rar und extrem scheu. Dementsprechend schwierig ist es für die Wildtierforscher, die Tiere zu finden, sie zu betäuben und ihnen ein Satellitenhalsband anzulegen.

Foto: Chris Walzer

Wilderer, die in der Wüste Gobi auf der Jagd nach wilden Eseln, Pferden oder Kamelen sind, bedienen sich einer speziellen Methode: Wenn sie ein Tier aufgespürt haben, fahren sie mit dem Jeep eine Weile neben ihm her, bis es langsamer wird und sie leichtes Spiel haben, es zu erschießen. Wildbiologen verwenden dieselbe Technik - allerdings setzen sie Narkosepfeile ein und verfolgen ein ganz anderes Ziel, nämlich mehr über die jeweilige Art herauszufinden und sie in der Folge besser schützen zu können.

Seit 1991 ist die im Südwesten der Mongolei gelegene Wüste Gobi, die in Wirklichkeit eine riesige Steppenlandschaft ist, ein Biosphärenreservat, und zwar das größte seiner Art in Asien und das viertgrößte weltweit. Es besteht aus zwei Schutzgebieten, die 300 Kilometer auseinanderliegen: der südlichen Altai-Gobi oder Gobi A, die mit 44.000 Quadratkilometern halb so groß wie Österreich ist, und der dsungarischen Gobi, kurz Gobi B, die es mit 9000 Quadratkilometern ungefähr auf die Fläche Kärntens bringt. Während das kleinere Areal über unterirdische Wasserläufe - die namengebenden "gobs" - und eine Handvoll Quellen verfügt, weist der größte Teil des Schutzgebietes Gobi A kaum Oberflächenwasser auf.

Das zweihöckrige Wildkamel oder Trampeltier hat hier eine seiner letzten Zufluchtsstätten: Abgesehen von rund 600 Exemplaren in China leben im Gebiet Gobi A geschätzte 1000 Tiere - das ist der ganze Bestand weltweit. Genauere Zahlen gibt es für die Mongolei nicht, erstens weil ein paar hundert Tiere auf einer Fläche von zehntausenden Quadratkilometern ungefähr so auffällig sind wie die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen, zweitens weil eine Zählung aus der Luft nicht möglich ist: Das Schutzgebiet grenzt 600 Kilometer lang an China, weshalb private Flugzeuge dort nicht zugelassen sind.

Um trotzdem mehr über die Lebensumstände der Kamele zu erfahren, setzen Chris Walzer und seine Kollegin Gabrielle Stalder vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien auf Satellitenhalsbänder. Um sie den Tieren anlegen zu können, bedienen sie sich der oben beschriebenen Wilderermethode, die Chris Walzer im Lauf der letzten zehn Jahre an Wildeseln und -pferden, die er im Schutzgebiet B untersucht, perfektioniert hat. "Der Vorteil der Kamele ist, dass sie viel langsamer sind", sagt er, "aber dafür sind sie noch scheuer: Wenn man sich auf vier bis fünf Kilometer nähert, laufen die schon weg. Um sie betäuben zu können, muss man auf mindestens zehn Meter an sie heran."

Telefonüberwachung

Das ist wohl auch der Grund, warum es lange Zeit als unmöglich galt, Wildkamele überhaupt zu fangen. Dann hieß es, wenn überhaupt, gehe das nur im Winter. Also machten sich Walzer und seine Kollegin Petra Kaczensky, als sie vom United Nations Development Programme den Auftrag erhielten, drei Kamele zu fangen, Ende November auf den Weg in die Mongolei. "Es war sehr kalt: minus 35 Grad in der Nacht, im Zelt. Da muss man sich auch was einfallen lassen, damit die Narkosemittel nicht einfrieren", erzählt Walzer.

Mittlerweile ist klar: "Es geht auch im Sommer." Und: "Wenn wir zwei Wochen Zeit haben, wissen wir jetzt, dass wir sie erwischen." Massive technische Probleme führten allerdings dazu, dass die Besenderung von sieben Tieren in den letzten Jahren nur relativ spärliche Daten lieferte. Im vergangenen Oktober gelang es Walzer und Stalder jedoch, vier Kamele mit Satellitenhalsbändern auszustatten, die seitdem hervorragend funktionieren.

Drei der Tiere tragen gewöhnliche GPS-Bänder, deren Daten bei den seltenen Wasserstellen automatisch heruntergeladen werden. Das vierte Kamel hingegen wird über das Iridium-Telefonnetz permanent überwacht. " Ende dieses Sommers sind noch fünf weitere Iridium- und drei GPS-Halsbänder in Zusammenarbeit mit Rich Reading von der Zoological Society of Denver und mit der mongolischen Akademie der Wissenschaften geplant", kündigt Walzer an.

Ab Herbst will Walzer, der ursprünglich Veterinäranästhesist ist, auch physiologische Untersuchungen an den Trampeltieren anstellen. Bei der Überwachung der narkotisierten Tiere ist ihm und Stalder nämlich aufgefallen, dass diese pH-Werte von 6,8 im Blut schadlos überstehen. " Da wäre jedes Pferd schon lange tot", sagt Walzer, "und ein Mensch sowieso." Ein so niedriger pH-Wert weist auf Laktatbildung und damit auf " anaerobe" Atmung hin - etwas, das etwa Sportler durch Training möglichst lange zu verhindern versuchen. "Bei der anaeroben Atmung steigt die Körpertemperatur möglicherweise nicht so stark an, aber eben der pH-Wert" , erklärt Walzer. "Dass die Kamele das aushalten, könnte eine Anpassung an das Wüstenklima sein."

Das Klima stellt das Überleben der Kamele jedenfalls nicht infrage, wohl aber die steigende menschliche Beeinträchtigung der Gobi. Die illegale Suche nach Gold ist im Zunehmen und sorgt immer wieder für Störungen. In der Gobi A hält sich diese Tendenz dank ihrer Abgelegenheit noch in Grenzen, aber die Gobi ist viel weitläufiger als die beiden Schutzgebiete.

Gefahren durch Goldsuche

So werden im Südosten der Steppe Kohle, Kupfer und Gold im großen Stil abgebaut, wobei vor allem die Goldgewinnung extrem umweltschädlich ist: Sie benötigt enorme Wassermengen und führt dazu, dass der Grundwasserspiegel in dem ohnehin schon trockenen Gebiet noch weiter absinkt. Die Wildesel etwa, die mit den Hufen nach Trinkwasser graben, erreichen es unter diesen Umständen nicht mehr. Dazu kommen Straßen und Zäune, die die Minengesellschaften errichten und die die Wanderbewegungen der Tiere einschränken. Sie brauchen jedoch die ganze Fläche, um auch in schlechten Zeiten genug Nahrung zu finden.

Walzer geht es nicht nur um die Erhaltung der gefährdeten Tierarten, sondern um die ganze Landschaft: "Steppen sind die letzten zusammenhängenden weitgehend unberührten Lebensräume, und nicht einmal in Afrika findet man eine so große und ungestörte Fläche wie in der Gobi." (Susanne Strnadl, DER STANDARD, 4.7.2012)