Karl Wurm: "Der Häuptling sagt dann irgendwann: 'Das ist ein Witz, was ist da los? Wir brauchen mehr Wohnungen!' Und dann posaunt er irgendeine Fertigstellungsziffer hinaus. Beim Zilk war das so."

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Karl Wurm ist alles andere als zuversichtlich, was den österreichischen Wohnungsmarkt betrifft. Der Obmann des Verbands der gemeinnützigen Bauvereinigungen (gbv), der auch Geschäftsführer der beiden gemeinnützigen Wohnbauträger Gewog und Neue Heimat ist, spricht im derStandard.at-Interview über zunehmende Interventionen, gefragte Wohnungsgrößen, den Kostendruck bei den Wohnbauträgern und die alarmierende Situation bei der Finanzierung des Wohnbaus. Das Gespräch führte Martin Putschögl.

derStandard.at: Die Warnungen vor einer drohenden Wohnungsknappheit in Österreich werden immer lauter. Wie lange sind bei Ihren beiden Genossenschaften die Wartelisten?

Wurm: Sie werden länger. Wenn ich etwa an unser Projekt in der Oberen Donaustraße denke, in zentraler Lage direkt an der U2 - da gibt es irre viele Anmeldungen, mit Sicherheit 5.000, die wir in dem Ausmaß überhaupt nicht befriedigen können. Natürlich sind diese Leute zwar auch woanders angemeldet. Aber die Nachfrage steigt eindeutig. Ein weiteres Indiz für den drohenden Engpass ist, dass die Interventionen zunehmen. Das ist für mich ein untrügliches Zeichen.

derStandard.at:  Wie sehen diese Interventionen aus?

Wurm: Da ruft irgendjemand für jemand anderen an, setzt sich dafür ein, dass der oder die eine Wohnung kriegt. Und zwar geht's da um "08/15-Wohnungen", keine Dachgeschoße.

derStandard.at: Da wird also auch direkt bei Ihnen angerufen?

Wurm: Ja, die rufen auch bei mir an, oder sie schreiben, oder sie schicken ein Mail. Sie nutzen die diversen Kommunikationswege.

derStandard.at: Was tun Sie dann, wenn jemand bei Ihnen anruft?

Wurm (lacht): Dann sage ich: Bitte anmelden. Und verweise darauf, dass es schon eine lange Warteliste gibt.

derStandard.at: Mit den "Smart"-Wohnungen hat die Stadt Wien nun kleine, kostengünstige Wohnungen für Singles und Geringverdiener initiiert. Brauchte es die Stadt dazu, um das zu erkennen?

Wurm: Bei uns Gemeinnützigen hat es immer schon einen Mix aus kleineren und größeren Wohnungen gegeben. Wir erleben nun aber sicher gerade wieder eine gewisse Zäsur. Das Anspruchsdenken von früher, dass man von Vornherein die ideale Wohnung fürs ganze Leben haben will - die es, nebenbei erwähnt, eh nicht gibt -, und die möglichst groß sein soll - das können sich sowohl die öffentliche Hand als auch die Nachfrager nicht mehr leisten.

derStandard.at: Wie drückt sich das konkret aus?

Wurm: Vor ein paar Jahren hat ein Single schon eine Drei-Zimmer-Wohnung gebraucht. Das wird sich jetzt wieder ein bisschen relativieren, die Wohnungsgrößen werden wieder kleiner. Und zwar auch bei jenen, die die größeren Wohnungen eigentlich brauchen würden, fürchte ich - bei den Einkommensschwächeren mit Kindern. Denn der Hauptgrund für's Kleinerwerden ist die Leistbarkeit.

derStandard.at: Einmal sind also größere Wohnungen gefragt, dann sollten sie wieder klein und kompakt sein: Hinkt man als Bauträger dieser Entwicklung nicht andauernd hinterher?

Wurm: Wenn jetzt flächendeckend Smart-Wohnungen gemacht werden, wird es eine ziemliche Schwemme von kleinen Wohnungen geben, auch wegen der vielen Vorsorgewohnungen. Dieses Wechselspiel - man kann es auch Nachhinken nennen - findet immer statt. Nur: Wir erzeugen ja selbst den Markt. Mit unserem Angebot erzeugen wir sozusagen die Probleme der Zukunft. Wenn wir uns zu sehr auf ein bestimmtes Segment spezialisieren, wissen wir, dass früher oder später die vernachlässigten Segmente wieder interessanter werden.

derStandard.at: Dann müssten die Gemeinnützigen also langsam wieder mit den größeren Wohnungen beginnen, wenn die Stadt Wien immer kleiner bauen lässt?

Wurm: Jein. Auf der einen Seite darf das Angebot an größeren Wohnungen nicht verschwinden, weil es die Nachfrage gibt. Auf der anderen Seite wird es aber noch spannend werden, wie viele Leute sich größere Wohnungen leisten können. Ich behaupte, dass es weniger sein werden, die sich die großen Wohnungen leisten können, aber dass die, die sie einfach brauchen, relativ viele sein werden.
Die Qualität der Wohnungsgröße ist mindestens genauso wichtig wie die Qualität der Architektur oder der Ökologie und des Außenraums. Und eine vier- oder fünfköpfige Familie, die braucht einfach vier Zimmer. Das heißt, die Wohnung muss mindestens 85 oder 90 m² haben. Da sind die vier Zimmer möglich, aber relativ klein dimensioniert. Werden die Zimmer größer, nähert man sich der 100-m²-Grenze oder kommt darüber.

derStandard.at: Dazu kurz eine persönliche Frage: Wie groß ist denn Ihre Wohnung?

Wurm: Meine Wohnung ist gar nicht so groß, die hat 87 Quadratmeter. Wir sind nur noch zu zweit, denn die Kinder sind schon ausgezogen. Das heißt: Eigentlich bin ich ausgezogen und habe meine größere Wohnung einem meiner Söhne überlassen, der sie besser brauchen konnte.

derStandard.at: Ihre beiden Genossenschaften Gewog und Neue Heimat wurden schon Anfang der 1990er-Jahre eng miteinander verzahnt: ein Rechnungswesen, eine Hausverwaltung, eine Technik, aber nach außen hin zwei rechtlich selbstständige Unternehmen. Wie groß wäre das Einsparungspotenzial im gemeinnützigen Sektor, würden das mehr Genossenschaften machen?

Wurm: Das kann ich jetzt beim besten Willen nicht sagen.

derStandard.at: Wie gestalteten sich denn die Synergieeffekte bei Ihnen?

Wurm: Naja, es wäre jetzt populistisch, wenn ich sagte: Man kann das an der Spitze selbst festmachen. Früher hat es in jeder Firma zwei Direktoren gegeben, und jetzt gibt es einen für beide, mit ein paar Prokuristen. Es ist mit Sicherheit eine Effizienzsteigerung möglich, aber ich will das nicht beziffern. Es müssen auch die Voraussetzungen stimmen. Diese Zusammenführung wäre beispielsweise nicht möglich gewesen, wenn es nicht auch Personenidentität in den Aufsichtsräten gegeben hätte. Die Aufsichtsräte müssen mit einer Stimme sprechen. Wenn einer das will und der andere nicht, dann funktioniert das nicht. Da ist man dann jahrelang damit beschäftigt, die verschiedenen Gruppen zu befriedigen oder überhaupt Streit zu schlichten.

derStandard.at: Sehen Sie im gemeinnützigen Sektor aber nicht auch einen gewissen Druck zur Kosteneffizienz?

Wurm: Der wird mit Sicherheit kommen.

derStandard.at: Wird er erst kommen, oder ist er schon da?

Wurm: Er ist schon da. Nur gibt es bei uns so dieses Denken, dass das nur eine Episode ist. Das ist verständlich, denn unsere Leute sind über Jahrzehnte einen exakten, klaren Rahmen gewohnt gewesen. Ein klarer Auftrag, geprägt durch klare Regeln, mit einer klaren Struktur der Finanzierung und einer öffentlichen Hand, die ein großes Interesse hat. Alles klar strukturiert. Und wenn's da so wie jetzt Unterbrüche gibt, dann glaubt man nicht ganz, dass das ein Dauerzustand werden kann.

derStandard.at: Wie sehen diese "Unterbrüche" konkret aus?

Wurm: Einerseits rinnen die öffentlichen Mittel aus, andererseits gibt es seit kurzem auch schwerwiegende Veränderungen bei der Kapitalmarktfinanzierung. Bisher war es für uns undenkbar, dass der Kapitalmarkt die Restfinanzierung zur Wohnbauförderung nicht auf die Dauer der Wohnbauförderung gibt. Das war klar, dass das so sein muss, und es war auch immer so. Aber plötzlich, vor ein paar Monaten, sagten die Banken: Das können wir nicht mehr, wir haben zu wenig langfristiges Geld. Wir können nicht zu hundert Prozent die Fristentransformation für euch machen, also ausschließlich kurzfristiges Geld in langfristiges zu verwandeln. Und das ist für manche bei uns jetzt ein Schock.

derStandard.at: Schmerzt Sie das mehr als die teuren Grundstücke?

Wurm: Es tut uns zwar sicher auch die Situation am Grundstücksmarkt sehr weh, weil es überaus problematisch ist, mit so einer Startvoraussetzung - fast nur mehr teure Grundstücke zu bekommen - günstige Wohnungen zu machen. Aber in der Strukturveränderung wirkt sich wahrscheinlich die Finanzierung am stärksten aus, ja. Unsere Leute sagen: Was ist da los, bricht die Welt zusammen? Nein, es ist einfach eine Änderung in den Rahmenbedingungen. Und man kann überhaupt nicht davon ausgehen, dass es wieder so wird wie es einmal war.

derStandard.at: Haben Sie dafür eine Lösung?

Wurm: Das Problem ließe sich mit einer Änderung des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes (WGG) lindern. Dieses kennt nämlich nur das Ursprungskostendeckungsprinzip: Jene Kosten, die einmal am Anfang angefallen sind, sind immer die Basis. Und jetzt plötzlich ist es so, dass wir eine Finanzierung erst einmal für zehn Jahre haben. Nach zehn Jahren müssen wir neu verhandeln, und da kommen wahrscheinlich höhere Kosten auf uns zu. Wir dürfen aber nur jene Kosten verrechnen, die wir am Anfang hatten, und haben dann womöglich ein Delta.

derStandard.at: Es gibt auch schon länger die Idee, die Pensionskassen zur Finanzierung des Wohnbaus heranzuziehen. Wie weit ist das gediehen?

Wurm: Das ist eine ganz mühsame Geschichte. Wir versuchen schon seit drei Jahren, da etwas anzuleiern. Es ist besser geworden; es gibt schon ein konkretes Beispiel, wo eine Pensionskasse über eine Beteiligung an einer Wohnbaubank Geld in ein Projekt steckte. Das ist ein Hoffnungsschimmer, allerdings entwickelt sich auf einer breiteren Basis wenig bis gar nichts.

derStandard.at: Woran liegt das?

Wurm: Vielleicht fehlt der politische Druck, vielleicht auch die Dispositionsfähigkeit der Wohnbaubanken. Ich habe da noch nicht alle Gründe durchschaut. Einerseits hoffen die Pensionskassen, dass ihre Veranlagungsformen noch besser performen als sie es jetzt tun, andererseits fürchtet sich die Politik davor, gravierendere Einschnitte zu machen - aus Gründen, die mit Haftungen zusammenhängen. Denn dann signalisiert man ja den Leuten, dass das alles ein Blödsinn war. Aber irgendwann wird es notwendig sein, dass man da einmal einen Schnitt macht. Gleichzeitig wird es notwendig sein, ernsthaft darüber nachzudenken, solche Gelder, die ja langfristig zur Verfügung stehen, in den Wohnbau zu stecken.

derStandard.at: Wäre das der Ausweg aus dem Finanzierungsdilemma?

Wurm: Das wäre EIN Ausweg. Eine vernünftige Ergänzung, vor allem jetzt, wo die Wohnbaubanken praktisch ausfallen, weil auch da die Privaten nicht bereit sind, auf zehn Jahre Geld zu geben. Jeder sagt: "Wer weiß, was in zehn Jahren ist? Ich veranlage jetzt kurzfristig und bin damit auf Nummer Sicher."

derStandard.at: Ist sich die Politik des Problems bewusst?

Wurm: Die ist sich noch überhaupt nicht darüber im Klaren, dass beim Thema Wohnen - vor allem im städtischen Bereich - ein Riesenproblem auf sie zukommt. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass überall signalisiert wird, dass die Wohnungen, die man jetzt baut, weggehen wie die warmen Semmeln. Man muss sich aber immer die Teilmärkte des Wohnungsmarkts anschauen. Das sind Wohnungen, die frei finanziert sind und verkauft werden. Die treffen auf Personen, die Angst um ihr Geld haben, die das Sparbuch plündern oder sonst welche Veranlagungen auflösen und in diesen "Heilspfad" Immobilien marschieren - weil sie da für die Zukunft abgesichert sind, keine Inflation zu fürchten haben und Wertsteigerungen lukrieren können. Ununterbrochen wird signalisiert, dass es das Paradies auf Erden ist. Und dadurch, dass dieses Produkt im städtischen Bereich auch stark angenommen wird, entsteht der Eindruck, dass das prima funktioniert.

derStandard.at: Derzeit ist es ja auch so, dass der freifinanzierte Wohnbau die Rückgänge im geförderten Wohnbau kompensieren kann ...

Wurm: Ja, im Moment. Nur: Wenn man sich anschaut, wer die Nutznießer, die Nachfrager sind, dann sind das auf der einen Seite Leute, die Angst haben um ihr Geld. Die kaufen dann gleich drei Wohnungen auf einmal. Auf der anderen Seite sind aber die Einkommensschwächeren, die Angst haben um ihren Arbeitsplatz. Die wollen nur eine günstige Wohnung haben, die sie sich in der derzeitigen unsicheren Situation auch leisten können. Und das wird immer schwieriger, weil die Wohnbauförderung weniger wird. Da liegt der Sprengstoff für die Politik drinnen. Die Politik braucht sich nicht um die kümmern, die ihr Geld jetzt veranlagen. Die sind im Übrigen auch überhaupt kein Problem für den Wohnungsmarkt - außer dass dadurch vielleicht die Grundstückspreise noch ein bisschen mehr in die Höhe getrieben werden.

derStandard.at: Wie sieht der angesprochene "Sprengstoff" genau aus?

Wurm: In den kleineren Bereichen - in den Sektionen, den Bezirken - spürt man es schon, da wird diskutiert: "Sag mal, warum ist das so schwer, eine günstige Wohnung zu kriegen?" Dort beginnt das mit den angesprochenen Interventionen: "Kennst du nicht irgendwen, der mir die Rutsche legen kann?" "Ich habe gehört, dass da was gebaut wird, geh, schau mir doch mal." Und wenn das breiter wird - und es wird breiter -, dann kommt's irgendwann nach oben. Über die jeweiligen Bezirksverantwortlichen, über Landtagsabgeordnete landet's irgendwann beim Häuptling. Im Regelfall - meiner Erfahrung nach - sagt dann der Häuptling irgendwann: "Das ist ein Witz, was ist da los? Wir brauchen mehr Wohnungen!" Und dann posaunt er irgendeine Fertigstellungsziffer hinaus. Beim Zilk war das so. Der hat gesagt: "Wir brauchen 10.000 Wohnungen!" Das war dann ein Paukenschlag, der signalisiert hat: Jawohl, die Politik kümmert sich! Und dann wuseln darunter alle möglichen Leute herum und schauen, wie sie das organisieren können.

derStandard.at: Und dieser Paukenschlag fehlt im Moment noch?

Wurm: Es fehlt die Erkenntnis, dass sich das so entwickeln wird. Ich bin aber auch kein großer Freund der Paukenschläge. Wenn es heißt, man soll plötzlich so viel mehr Wohnungen bauen - wobei "plötzlich" natürlich zwei, drei Jahre bedeutet, in unserer Branche ist das aber sehr plötzlich - dann bedeutet das wieder einen Schub für die Preise. Die Baufirmen und die Grundbesitzer reiben sich die Hände. In dem Geschäft ist es immer besser, eine solide, vernünftige Kontinuität zu haben und sich innerhalb der Produktion anzuschauen: Was braucht der Markt? Und jetzt braucht der Markt günstige Mietwohnungen. Im städtischen Bereich.

derStandard.at: Warum nicht günstige Eigentumswohnungen?

Wurm: Nein, es hat überhaupt keinen Sinn, sich in Richtung Eigentum zu bewegen. Die Leute, die sich das leisten können, die leisten es sich eh. In einem sehr hohen Ausmaß. Günstige Mietwohnungen, das ist das Gebot der Stunde. (Martin Putschögl, derStandard.at, 19.7.2012)