Die Sozialversicherung ist selten zimperlich. Wer Beiträge nicht zeitgerecht bezahlt, riskiert den Besuch des Gerichtsvollziehers.

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Die Sozialversicherungsanstalt lässt jeden zehnten Kleinstbetrieb exekutieren. Die meisten kommen mit Ratenzahlung davon. Viele geben für das soziale Netz mehr aus, als sie verdienen. Über böse Überraschungen, fehlende Reserven und stockende Reformen.

 

Wien - "Andere zahlen ihre Sozialversicherungsbeiträge über Erlagscheine, ich habe sie vorwiegend über den Gerichtsvollzieher beglichen." Seinen Namen will der Fo- tograf und Buchautor nicht in der Öffentlichkeit lesen. Seinen Ärger über den Umgang mit Selbstständigen kann er nur schwer verhehlen. Zumal er einer von vielen sei, die sich regelmäßig mit Exekutionen der Versicherungsanstalt herumschlagen.

Er verdiene gut, sei viel im Ausland unterwegs, erzählt der Wiener. Jüngst fand er sein Studio von einem Gerichtsvollzieher aufgebrochen vor und sämtliche für den Job notwendigen Kameras beschlagnahmt. Man habe ihm seitens der Wirtschaftskammer lange im Glauben gelassen, dass er als Autor mit niedrigem Einkommen von der Sozialversicherung ausgenommen sei, da er ja auch keine Leistung beanspruche. Plötzlich habe er sich mit einer Nachbelastung und einem drohenden Konkursantrag konfrontiert gesehen. "da ich irgendein Schreiben nicht bekommen habe". Ihn via Mail darüber zu benachrichtigen, lehnten die Behörden ab. "Sie holen sich wohl lieber ein Körberlgeld von gut 140 Euro an Exekutionskosten."

Der Verwaltungsgerichtshof hat mittlerweile befunden, dass Autoren von der Zahlungspflicht nicht befreit sind. Womit der Fotograf und Schriftsteller nun zweimal in Versicherungstöpfe einzahlt. "Im Extremfall auch mehr als ich verdient habe." Etwa wenn, wie bereits passiert, einer seiner Kunden insolvent wird. "Ich habe dadurch schon einmal viel Geld verloren - die Sozialversicherung hielt dennoch die Hand auf."

Zehn Prozent der Versicherten werden jährlich exekutiert, da sie ihren Zahlungen nicht zeitgerecht nachkommen. Automatisiert, alle 50 Minuten rund um die Uhr gehe ein Antrag raus, errechneten die Amici delle SVA, eine Initiative, die sich für bessere Rahmenbedingungen für Selbstständigen einsetzt.

Auch viele Gutverdiener sind betroffen, die sich des über ihnen schwebenden Damoklesschwertes nicht bewusst sind. Es brauche "schon die Seele eines Buchhalters", um das komplexe System der Vorschreibungen zu durchblicken, sagt Eik Breit. Der freie Musiker und Kabarettist ist einer der wenigen, die bereit sind, offen über ihre Probleme mit der Sozialversicherung zu sprechen. Als einer von jährlich gut 1900 Ein-Personen-Unternehmern wurde er einst von ihr in den Privatkonkurs geschickt.

Das Muster ist vielfach das gleiche: Auf wirtschaftlich gute Jahre folgen starke Einkommenseinbußen. "Rücklagen fehlen, und dann sind plötzlich Finanzamt und Sozialversicherung da." Breit saß vor 25.000 Euro Schulden, den stillen Ausgleich lehnte letztere aus gesetzlichen Gründen ab. Sein Konkurs mündete in einer 20-prozentigen Quote - genauso viel, wie er zuvor angeboten hatte. Zusätzlich musste er dann freilich 4000 Euro für Gericht, Masseverwalter und Anwalt berappen. "Für mich zeigt das diesen ganzen Unsinn."

In schweren Fällen würde man Betroffenen gern mit einem außergerichtlichen Ausgleich entgegenkommen, sagt der SVA-Chef Peter McDonald. Doch der diesbezügliche Vorschlag liegt nach wie vor beim Sozialministerium, die Seite der Arbeitnehmer blockt ab. Ähnliches gilt für das Ansinnen, Nachzahlungen nicht innerhalb eines Jahres leisten zu müssen, sondern über drei Jahre zu verteilen. Hinter den Kulissen ist freilich auch zu hören, dass längere Fristen bei Exekutionen nichts brächten: Viele Säumige zahlten erst auf Druck, so der Tenor in den Behörden.

Aus Sicht der SVA klingt das alles schlimmer als es sei. Denn sei einmal der Kontakt zu den Betroffenen aufgenommen und ein Abzahlungsplan erstellt, schreite der Gerichtsvollzieher nur selten ein. Die tatsächlichen Zahlungsausfälle seien unterm Strich gering.

Laut Kreditschutzverband meldeten im Vorjahr fast 9600 Österreicher Privatkonkurs an, 35 Prozent unter ihnen waren ehemalige Selbstständige.

Hohe Zinsen

Für Ruperta Lichtenecker gibt es keinen Grund, derart "durch die Gegend zu exekutieren": Bei den Ratenzahlungen könne sehr wohl stärker auf individuelle Umstände eingegangen werden. Die grüne Nationalratsabgeordnete hat Mitte Juni eine Anfrage an das Sozialministerium rund um Verzugszinsen bei ausstehenden Sozialversicherungsbeiträgen eingebracht.

Diese stiegen seit 2010 von 6,01 auf 8,88 Prozent. Die Stundungszinsen für das Finanzamt in Höhe von 4,44 Prozent nehmen sich im Vergleich dazu geradezu moderat aus. Lichteneckers Resümee: Ein-Personen-Betriebe mit ihren stark schwankenden Aufträgen und oftmaligen Nachzahlungen treffe der hohe Zinssatz mit voller Härte.

Er selbst lege künftig, um weitere böse Überraschungen zu vermeiden, hohe Reserven für Nachzahlungen an, sagt Musiker Breit. Sein Künstlerkollege aus der Fotografen- und Autorenbranche zieht für sich andere Konsequenzen: Er verlässt Österreich. (Verena Kainrath, DER STANDARD, 10.7.2012)