Eine rare, frühe Aufnahme des fotoscheuen französischen Bildermachers Chris Marker.

Foto: Filmmuseum

Eine Marker'sche Katze aus "Sans Soleil".

Foto: stadtkino

Paris - La Jétée, einer der populärsten Filme von Chris Marker von 1962, erzählt eine dunkle Science-Fiction-Geschichte in Form einer Fotoserie: Die einzelnen Einstellungen sind starre Momentaufnahmen. Bewegung - und Spannung - entsteht im Schnitt, über Ton und Kommentar. La Jétée legt das Wesentliche des Kinos (ein Bild und noch eines ...) offen, und er verschiebt zugleich, auf ebenso anschauliche wie hintergründige Weise, die Grenzen des kinematografischen Terrains.

Die Zeit, in der La Jétée entsteht und Chris Marker die Arbeit an seiner monumentalen dokumentarischen Gegenwartsstudie Le joli mai (1963) aufnimmt, wird der Filmemacher später als seine Stunde null bezeichnen. Chris Marker, der vielleicht Christian-François Bouche-Villeneuve hieß und auch den Rest seiner Herkunft weitgehend im Dunkel ließ, tritt zunächst in den 1950er-Jahren im Umfeld des Nouveau Cinéma als Filmemacher in Erscheinung. Er realisiert etwa gemeinsam mit Alain Resnais die Dokuminiatur Auch Statuen sterben (1953).

Schon hier - es geht um afrikanische Kunstwerke, die im Zuge der Kolonialisierung in westliche Museen gelangt sind - dient der Film als ein Mittel der Auseinandersetzung mit Geschichte und Erinnerungspolitik. Und bereits hier wird jene (analytische) Praxis erprobt, die Marker später weiter ausloten und perfektionieren wird: filmische Ausdrucksmittel in neue Verhältnisse zueinander zu setzen.

Als Filmemacher bleibt Marker außerdem stets wacher Zeitgenosse der Umbrüche und Umstürze der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Er bereist, fotografiert und dreht in China und der Sowjetunion, in Kuba, Israel oder Chile. Er engagiert sich im Post-Mai-68 in Sachen proletarischer Filmarbeit. Die mehrstündige Doku-Collage Le fond de l' air est rouge (1977) sei hier stellvertretend genannt. Im Interview mit der Zeitung Libération wird Marker 2003 rückblickend jedoch konstatieren: "Politik, die Kunst des Kompromisses, langweilt mich zutiefst. Mich interessiert Geschichte - und die Politik nur insoweit, als sie die Markierung darstellt, die die Geschichte in der Gegenwart anbringt."

1982 entsteht ein Film, der dieses Interesse auf eine persönlichere Ebene überführt: Sans Soleil, ein weiterer "Evergreen" Markers, ist eine Reflexion über die Erinnerung und übers Reisen, über ferne Orte und Menschen. Neben seiner großen Zuneigung zu Katzen ist in Sans Soleil auch das Interesse des Bildermachers an digitalen Technologien unübersehbar. Er beginnt, die neuen Medien für seine künstlerische Arbeit zu nutzen und produziert die CD-ROM Immemory (1999). Er realisiert Videoinstallationen und ist mit Ausstellungen international vertreten.

In Agnès Vardas Autoporträt Les plages d'Agnès, das vergangene Woche noch bei uns im Kino lief, hatte ihr öffentlichkeitsscheuer Weggefährte seinen Auftritt in Gestalt der gezeichneten, nicht auf den Mund gefallenen Katze Guillaume-en-Égypte. Am Tag nach seinem 91. Geburtstag wurde nun bekannt, dass Chris Marker in Paris gestorben ist. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 31.7.2012)