Aufstellung zum Gruppenfoto der GUADEC 2012.

Foto: Andreas Proschofsky

Mit dem gewohnten Gruppenfoto fanden am Sonntag Abend im spanischen A Coruña die Kerntage der diesjährigen GNOME-Konferenz GUADEC ihren Abschluss. Vier Tage lang hatte man sich in zahlreichen Sessions über die neuesten Entwicklungen informiert, technische Details ausgetauscht und Ideen für die weitere Zukunft des Projekts geschmiedet.

Noch nicht vorbei

Zu Ende ist die GUADEC 2012 damit freilich noch nicht: Bis Mittwoch finden noch diverse "Hacking"-Sessions und Gruppendiskussionen statt, in denen man sich den zentralen Themen und Entwicklungsfäden noch mal im Detail widmen will. Der WebStandard hingegen macht sich wieder in heimische Gefilde auf, Zeit also eine kleine Bilanz zu ziehen, immerhin wurden im Umfeld der Konferenz so manch grundlegende Zweifel an der weiteren Zukunft des Projekts aufgeworfen.

Abgrund?

Das Projekt stehe vor dem Abgrund hatte der langjährige GTK+-Entwickler und GNOME-"Hacker" Benjamin Otte mit der Überschrift zu einem aktuellen Blog-Eintrag suggeriert. Doch auch wenn Ottes subjektive Perspektive durchaus nachzuvollziehen ist - immerhin ist er derzeit der einzige Vollzeit am Toolkit GTK+ arbeitende Entwickler - mit etwas Abstand lässt sich die Behauptung eines nahenden Untergangs nur schwerlich aufrecht erhalten.

Bilanz

Klar: Das Projekt hat schon bessere Zeiten erlebt. Mit der zunehmenden Hinwendung von Ubuntu zu den eigenen Konzepten von Softwarehersteller Canonical hat man die mit Abstand größte NutzerInnengruppe verloren. Zwar gilt dies nicht für alle Komponenten - immerhin verwendet Ubuntu noch immer eine Fülle von GNOME-Bestandteilen - aber erhält die Arbeit von GNOME nicht zuletzt durch den Austausch der GNOME Shell mit dem Ubuntu-eigenen Unity erheblich weniger Öffentlichkeit.

Abgang

Noch härter hat das GNOME-Projekt allerdings ein anderes Ereignis der letzten Jahre getroffen: Der vollständige Rückzug von Nokia aus dem Linux-Ökosystem. Im Umfeld von Maemo und MeeGo waren über die Jahre zahlreiche kleinere Unternehmen entstanden, die als Dienstleister für Nokia ihr Geld verdienten - und von Nokias Strategiewechsel hart getroffen wurden. Und was Intel betrifft: Nun, sagen wir mal der Prozessorhersteller war in früheren Zeiten auch schon mal aktiver im GNOME-Umfeld unterwegs.

Aufgefangen

Viele der von all diesen Änderungen betroffenen EntwicklerInnen sind zwar zwischenzeitlich bei anderen Open-Source-Unternehmen - allen voran Red Hat oder Mozilla untergekommen, die Vielfalt der GNOME-Welt hat darunter aber natürlich gelitten. Wie auch Otte in seinem Blog-Posting durchaus richtig festhält, ist GNOME heutzutage ein maßgeblich von Red Hat getragenes Unterfangen.

Auffangbecken

Gerade das ist aber auch ein Umstand, der die Behauptung einer Existenzkrise reichlich überzogen erscheinen lässt. Red Hat ist nämlich weiterhin unverändert ganz klar dem GNOME als Desktop verschrieben, und liefert diesen auch in seinen Enterprise-Distributionen aus - mit denen man wiederum den Großteil des eigenen Einkommens lukriert. Entsprechend wird der Linux-Hersteller schon aus Eigeninteresse dafür sorgen, dass die Entwicklung weiter voran schreitet - und dafür auch das entsprechende Geld in die Hand nehmen. So war den auch auf der GUADEC unübersehbar, dass Red Hat weiter auf der Suche nach neuen EntwicklerInnen ist.

Ausblick

Bleibt abzuwarten, ob es GNOME gelingt, wieder neue Allianzen zu schmieden oder ob noch weitere (Unternehmens)-Unterstützer wegbrechen. In der Retrospektive war das allerdings in der 15-jährigen Geschichte des freien Desktops eigentlich nie wirklich anders, es gab immer ein stetes Auf und Ab. So sei etwa an die kurzfristig massiv intensivierten Bemühungen von Novell / SUSE im Desktop-Bereich erinnert - und deren recht abruptes Ende.

Desktop-Fragen

Dass im aktuellen Fall schnell mal die Daseinskrise als Ganzes attestiert wird, hat wohl auch mit äußeren Faktoren zu tun: Ist doch mittlerweile der Desktop als Ganzes in einer Art "Krise". Natürlich nicht in dem Sinne, dass dieser Markt rapide zusammenbrechen, oder entsprechende Geräte sich von einen Tag auf den anderen plötzlich nicht mehr verkaufen würden. Nein, das ist auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Aber das Interesse der breiten Öffentlichkeit, vor allem aber auch der AnwendungsentwicklerInnen ist längst zu mobilen Plattformen wie Android oder iOS geschwenkt - womit der Desktop als Ganzes an Bedeutung verliert. Bei Microsoft und Apple hat man dies natürlich längst erkannt, und sieht die Zukunft offenbar in der zunehmenden Verzahnung von Desktop und mobilen Plattformen, unter Linux muss man den eigenen Weg hingegen erst finden.

Zahlen

Ein Rückgang der Zahl an EntwicklerInnen war auf der Konferenz trotz all dem zuvor Gesagten übrigens nicht wahrnehmbar, und an Motivation scheint es ebenfalls nicht zu mangeln: Obwohl die GUADEC dieses mal zum ersten Mal vier statt drei Kerntage lang war, waren die Vorträge bis zum Schluss durchgehend gut besucht. Dazu kommt, dass zahlreiche neue Gesichter zu sehen waren, GNOME scheint es mittlerweile sehr gut zu gelingen über die Kampagnen wie den Google Summer of Code oder das projekteigene "Outreach Program for Women" neue EntwicklerInnen für den freien Desktop zu begeistern. Ebenfalls auffällig dabei, dass GNOME mittlerweile den Dreh bei solchen Kampagnen sehr gut heraus zu haben scheint, überdurchschnittliche viele dabei entstandene Beiträge auch tatsächlich sinnvoll sind und übernommen werden (was beim Summer of Code ganz allgemein ja leider nicht immer der Fall ist). Besonders erfreulich zudem, dass GNOME es über das Outreach-Programm geschafft hat, den Frauenanteil auf der Konferenz signifikant zu steigern, von 3 Prozent im Jahr 2009 auf nun 17 Prozent - was sich auch auf die Atmosphäre bei der Konferenz nachhaltig positiv auswirkte.

Welcher Streit?

Apropos Atmosphäre: Entgegen dem Eindruck, den man aus so manchen Forendiskussionen bekommen könnte, ist die grundlegende Richtung von GNOME3 zumindest innerhalb des Projekts de fakto unumstritten. So manche EntwicklerInnen würden sich das eine oder andere Detail anders wünschen, und natürlich gibt es auch Personen, die mal besser, mal weniger gut mit einander können - wie in jedem Projekt. Das war es dann aber auch schon. EntwicklerInnen, die den Wechsel von GNOME2 zu GNOME3 für einen grundlegenden Fehler halten, kamen dem Autor jedenfalls keine unter - weder während den Vorträgen noch im lockeren Gespräch am Rande der Konferenz.

Die fehlende Vision...

Ein Wunsch war allerdings immer wieder zu hören: Der nach einer gemeinsamem Vision für das Projekt. Als eine solche könnte sich die Entwicklung hin zu GNOME 4 / einem eigenen GNOME OS herausstellen, wobei allerdings auch intern noch viel Unklarheit darüber herrschte, was GNOME OS eigentlich werden soll. Während manche darin vor allem ein Tool sehen, um aktuelle GNOME-Änderungen selbst leichter testen zu können, scheint so manchen durchaus der Gedanke an ein auch auf EndnutzerInnen ausgerichtetes System im Kopf herumzuspuken.

Die Anfänge...

Ob es tatsächlich einmal die letztere Variante wird, muss sich wohl erst zeigen, eventuell schaffen hier auch die Diskussionen zum GNOME OS an den letzten Tagen der GUADEC noch etwas Klarheit. Dass der Weg in Richtung GNOME OS geht, hatte sich aber ohnehin zuletzt schon recht deutlich abgezeichnet. So wird GNOME 3.6 eine "Initial Setup"-Funktion integrieren, die bei der Abwicklung der ersten Konfigurationsschritte für ein neu installiertes System helfen soll.

Enterprise

Auch sonst integriert man zunehmend Komponenten und Einstellungen, die bisher nur durch externe Tools erhältlich waren, zuletzt etwa einige Enterprise-Features wie Kerberos-Support und Active-Directory-Unterstützung. Dies passt natürlich nicht ganz zufällig gut mit den Interessen von Red Hat zusammen, das Ende des kommenden Jahres mit die erste Enterprise-Linux-Version mit GNOME3 ausliefern will.

GUADEC 2013

Bis es soweit ist, wird es aber ohnehin noch einmal eine GUADEC geben, wo und wann die GNOME-Konferenz 2013 stattfinden wird, steht derzeit jedoch noch nicht fest. Bekannt ist allerdings, dass derzeit das tschechische Brno sowie das französische Strasbourg im Rennen um die Ausrichtung sind. Wir lassen uns überraschen... (Andreas Proschofsky, derStandard.at, 30.07.12)