Maja Haderlap (li.) und Claudia Schmied im Garten des Ateliers der Bildhauerin Ulrike Truger (ulriketruger.at). Auch der Tisch - ein "echter Truger". Eine Skulptur von ihr heißt übrigens "Maja"

Foto: STANDARD/Fischer

"Durch Kunst werden Dinge besprechbar, bearbeitbar, die vorher jahrelang verschwiegen wurden": Claudia Schmied.

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"Meistens ist es ja so, dass die Wahrheit viel schrecklicher ist als das, was man gerade weiß": Maja Haderlap.

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Kulturministerin Claudia Schmied (SPÖ) und Schriftstellerin Maja Haderlap wurden von Lisa Nimmervoll zum Gespräch gebeten: über Kärntner Korruption, Slowenisch als "Affektsprache" und den Bildungsweg der Ministerin.

STANDARD: Frau Haderlap, Ihr 2011 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnetes Buch "Engel des Vergessens" war für Sie auch eine Art literarische Geisteraustreibung, sagten Sie einmal. Jetzt sind in Kärnten wieder Geister aus der jüngeren Vergangenheit aufgetaucht. Korruption, illegale Parteienfinanzierung. Was sagen Sie dazu?

Haderlap: Seit ich denken kann, sind dieses Land und die politischen Zustände in Kärnten ein Thema für mich gewesen. Dass es jetzt in dieser Heftigkeit klar an die Öffentlichkeit drängt, finde ich bemerkenswert und notwendig, weil das Verkommene offensichtlich wird und man nicht mehr herumreden kann. Die Dinge liegen auf dem Tisch. Meistens ist es ja so, dass die Wahrheit viel schrecklicher ist als das, was man gerade weiß oder vermutet.

STANDARD: Frau Ministerin, hätten Sie so etwas für möglich gehalten?

Schmied: Leider ja. Mir kommt das wie ein Dammbruch vor. Das Schweigen wurde von einem Einzelnen gebrochen. Ich habe den Eindruck, da wird noch einiges folgen. Wir brauchen dringend solche reinigenden Prozesse. Der Schrecken muss zutage kommen und besprochen werden, das halte ich für wichtig. Es geht um grundlegende Werte wie Anstand und Moral. Da scheint mir einiges buchstäblich ver-rückt. Die vollständige Aufklärung und konsequente Handlungen sind jetzt entscheidend.

STANDARD: Die SPÖ ist in dem aktuellen Fall nicht involviert, aber solche Vorfälle haben ja auch Auswirkungen darauf, wie die Bürger Politik in Österreich sehen. Das kann ja eine demokratie gefährdende Dynamik bekommen. Was muss die Politik auch außerhalb der in Kärnten Beteiligten jetzt tun?

Schmied: Ich möchte das gar nicht auf die Politik eingrenzen, wenngleich Politik besonders im Scheinwerferlicht steht und auch gefordert ist. Wir haben es mit gesellschaftlichen Phänomenen zu tun. Da scheinen sich manche Grenzen verschoben zu haben. Anstand wieder einzufordern halte ich für dringend notwendig.

STANDARD: Wie nehmen die Kärntner das auf? Sind die Leute empört oder haben sie eh damit gerechnet?

Haderlap: Ich kann nicht pauschal für die Kärntner sprechen, denn sie sind mir ein Rätsel. Es wird privat oft viel erzählt, mir kommt vor, gewisse Kreise wissen alles. Man selber steht immer dumm da mit seiner Empörung, während sich manche als öffentliche Geheimnisträger gerieren. Aber wenn es darum geht, Stellung zu beziehen, ist plötzlich niemand da. Da ist man alleine auf weiter Flur.

Schmied: Das ist nicht nur in Kärnten so, ich erlebe das sehr oft. Vor allem, dass diejenigen, die gegen etwas sind, oft sehr laut und heftig sind, und diejenigen, die unterstützend oder reflektiert sind, manchmal sehr zurückhaltend und leise sind.

Haderlap: Neuwahlen wären natürlich der richtige Schritt. Man muss alle Möglichkeiten ausschöpfen, um einen Prozess der Veränderung in Gang zu setzen - nicht nur in der Politik. Jetzt ist der Moment da, wo man etwas unternehmen kann und muss. Da ist die Kärntner Bevölkerung gefragt, aber nicht nur.

STANDARD: Sind bei diesem Prozess auch Künstler gefordert?

Schmied: Kunst hat mit Sicherheit eine besondere Rolle, aber in diesen Fragen geht es um jeden Einzelnen. Anstand betrifft ja uns alle. Kunst ist bis zu einem gewissen Grad immer politisch. Politisch im besten Sinne, ich grenze das ab von Parteipolitik. Kunst löst politische Prozesse aus oder kann sie auslösen über die Wahrnehmung und Reflexion. Ich sehe immer eine Wirkungsmöglichkeit der Kunst. Ein Buch wie das von Frau Haderlap ist ein großer Beitrag der Kunst. Es zeigt, was die literarische Bearbeitung eines Stücks belasteter Vergangenheit bei den Menschen auslöst. Es werden Dinge besprechbar, bearbeitbar, die vorher jahrelang verschwiegen wurden. Aber es kommt immer auch auf den Zeitpunkt an. Da gibt es oft Zusammenhänge. Ich finde es zum Beispiel interessant, dass das Buch von Frau Haderlap und die Lösung des Ortstafelkonflikts im selben Jahr passiert sind. Das war kein Zufall.

STANDARD: Ihre "Erstsprache" war Slowenisch. Sie haben erst in der zweisprachigen Volksschule in Leppen Deutsch gelernt. Wie war dieses Aneignen der Sprache, von der Sie umzingelt waren, die aber doch "die andere Sprache" war?

Haderlap: Ich habe das nicht als Bruch in meiner Biografie empfunden, dass da noch eine zweite Sprache war, sie hat sich organisch eingefügt. In meinem Elternhaus und in der Umgebung haben wir nur Slowenisch gesprochen, dann ist eben Deutsch dazugekommen.

Schmied: Empfinden Sie die Sprachen Slowenisch und Deutsch in Ihnen als gleichwertig, oder haben Sie zu einer Sprache eine besondere Beziehung?

Haderlap: Für mich sind beide Sprachen gleichwertig, aber ich habe zu jeder eine eigene Beziehung. Ich bin mit der slowenischen Literatur sozialisiert worden, das Slowenische prägt sehr stark mein historisches und politisches Bewusstsein - gleichzeitig aber auch das Deutsche, in einem allgemeineren, übergreifenden Sinne. Es überlagert sich sehr vieles.

STANDARD: Was heißt: Slowenisch ist Ihre "Affektsprache"?

Haderlap: Je nachdem, an wen ich denke, mit wem ich spreche, auf wen ich mich beziehe, denke ich auf Slowenisch oder auf Deutsch. Die "Affektsprache" zeigt sich, weil ich automatisch, wenn ich mit Babys spreche, das Slowenische verwende, genauer gesagt, den slowenischen Dialekt, das gilt auch für Tiere. Wenn ich fluche, fluche ich sowohl als auch. (lacht)

Schmied: Je nachdem, woran und an wen Sie denken. (lacht)

Haderlap: Zwischendurch auch auf Italienisch, das klingt so saftig.

STANDARD: Dass Sie im Gymnasium gelandet sind, haben Sie auch dem slowenischen Schriftsteller und Direktor der Volksschule Leppen, Florjan Lipus, zu verdanken: "Meiner Mutter hat er offenbar gesagt, dass man mich aufs Gymnasium schicken soll." Hatten Sie selbst eine Vorstellung, dass Sie auch ins Gymnasium gehen könnten?

Haderlap: Für ein Mädchen von einem kleinen Bergbauernhof war es eigentlich undenkbar und unvorstellbar, ein Gymnasium zu besuchen oder zu studieren. Das war im Grunde nicht vorgesehen. In meiner Familie hat es keine Doktoren und keine studierten Leute gegeben, also habe ich als Kind nicht daran gedacht zu studieren. Aber die Idee, dass ich ins Gymnasium nach Klagenfurt kommen könnte, hat mir schon gefallen.

Schmied: Das zweisprachige?

Haderlap: Ja. Zu der Zeit gab es Kreiskys Bildungsoffensive, die hat sich wirklich bis zu den letzten Gräben durchgesprochen. Es hat Leute gegeben wie meinen Onkel, meinen Nachbarn, auch der Pfarrer und der Volksschullehrer, die gesagt haben, schickts das Mädchen doch ins Gymnasium, sie lernt so gut. Diese Entwicklung war das Resultat einer gesellschaftlichen Öffnung, insoweit halte ich solche Öffnungen für unglaublich wichtig, weil sie Impulse setzen und Lebensgeschichten in eine andere, eine bessere Richtung bewegen können.

STANDARD: Wie war das bei Ihnen? Sie sind in Wien aufgewachsen, Ihr Vater war OMV-Bereichsleiter für Finanzen, Ihre Mutter Schneiderin. War immer klar und vorgezeichnet, dass Sie ins Gymnasium gehen?

Schmied: Meine Eltern, die ja beide nicht studiert haben, waren auch sehr von Bruno Kreisky und seiner Bildungspolitik bewegt und motiviert. Ich sollte die Möglichkeit haben, einmal studieren zu können, und wurde von zu Hause sehr gefördert. Der 22. Bezirk, wo ich aufgewachsen bin, war damals noch nicht so entwickelt wie heute. Manchmal hat man die Donaustadt etwas abfällig "Transdanubien" genannt. Ich bin in das allererste Gymnasium des Bezirks gegangen, in die Bernoullistraße, was insofern auch sehr gut war, weil es eine permanente Aufbruchs- und Erweiterungsstimmung gab. Jedes Jahr vier neue Klassen dazu, neue Lehrerinnen und Lehrer. Übrigens bin ich der Donaustadt bis heute treu geblieben - ein dynamischer Bezirk.

STANDARD: Was haben Sie denn zuletzt im Theater gesehen?

Schmied: Ein Stück, das ich erwähnen möchte, weil es mich sehr beeindruckt hat, war jetzt im Sommer in Melk Die Päpstin. Das war großartig. Die Intrigen im Vatikan ... Der Papst, die Päpstin möchte eine Schule für Frauen bauen - und die Reaktionen auf diesen Vorstoß ... das war sehr interessant und von Susanne Felicitas Wolf hervorragend dramaturgisch bearbeitet.

STANDARD: Das Thema Intrige kennen Sie als Ministerin?

Schmied: (lacht) Ja! Immer wieder.

STANDARD: Sie waren fast 16 Jahre Chefdramaturgin am Stadttheater Klagenfurt. Was würden Sie denn jetzt als Kommentar zur Zeit auf den Spielplan setzen?

Haderlap: Die aktuelle Situation in Kärnten übertrifft ja so manches Stück. Aber ich habe mir manchmal gedacht: Biedermann und die Brandstifter wäre gut, weil die Brandstifter sehenden Auges ins eigene Heim eingeladen werden und dort ein und aus gehen. Die Hausbesitzer beobachten die suspekte Entwicklung mit Faszination und mit Schrecken, sie glauben bis zuletzt, zutraulich zu den Brandstiftern sein zu müssen. Bald brennt die ganze Stadt, und niemand ist schuld gewesen. Ein Shakespeare-Stück erscheint mir zu groß, so bedeutend ist diese Region dann doch wieder nicht.

STANDARD: Was wäre für Sie denn das Stück zur Zeit?

Schmied: Ich würde das Drehbuch für eine Vorabendfernsehserie zum Thema Schule schreiben. In der Hauptrolle eine Lehrerin oder ein Lehrer. Ich hätte da an Ursula Strauss oder Tobias Moretti gedacht. (lacht) Eine Serie, in der positive Geschichten zur Schule erzählt werden.

STANDARD: Was würden Sie als Ministerin unbedingt realisieren?

Haderlap: Die Aufgabe der Kulturpolitik ist, dass sie Institutionen schafft, die künstlerische Arbeit ermöglichen, Rahmenbedingungen, die helfen, dass Kunst entstehen kann. Das ist die wichtigste Voraussetzung.

STANDARD: Angenommen, Sie dürften sich von Frau Haderlap ein Gedicht wünschen und dafür ein Schlüsselwort liefern. Um welches Wort herum oder mit welchem Wort sollte sie ein Gedicht schreiben?

Schmied: Zum Thema "Gelingen".

Haderlap: Ja, da würde mir was einfallen. Wenn man schreibt, will man ja an einen Punkt kommen, wo man sagt: Ah, es ist jetzt gelungen. Eine Art Ausatmen nach dem Schreiben. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 1.8.2012)