Foto: quartier 21
Foto: quartier 21
Foto: quartier 21

Im Interview erzählt die Artist-in-Residence mit der unverkennbaren Bildsprache von turbulenten Seelen, jenseitigen Bienen und verschwörerischen Magnetfeldern.

Manchmal hat man das Gefühl Deine gemalten Tiere stehen bereits mit einem Bein im Jenseits. Sie haben eine gewisse Erhabenheit - wie Gottheiten. Auf die Gefahr hin esoterisch zu klingen: Glaubst Du an eine Einheit von Mensch und Tier, im Hier oder im Jenseits?

TIKA: «The Golden Compass» ist eine Geschichte die mir als Antwort zu deiner Frage einfällt. Ich glaube daran, dass im Grunde alles Eins ist. Die Erdkugel und die auf ihr ablaufenden Prozesse sind ein steter Kreislauf des Wachsens und Vergehens. Leider nimmt sich ein Tier namens Mensch sehr wichtig und glaubt fähig zu sein, sich über Naturgesetze und somit über sich selbst - als ein Teil der Natur - hinwegzusetzen. Der Glaube an Technik, Konsum und die menschlich erzeugte Ordnung hat den globalisierten Mensch dazu gebracht, seine inneren Tiere in einen Käfig zu sperren. Ich glaube das innere Tier hält das Kind in einem selbst am Leben und bewahrt die Fähigkeit, über die von der Gesellschaft gesetzten Grenzen hinauszudenken.

Bezüglich der Frage nach dem Jenseits ... Eine genaue Vorstellung habe ich davon nicht. Wenn ein geliebter Mensch seinen Körper hinter sich lässt, ist das wohl der Moment, in dem man dem Jenseits am nächsten kommt. Als mein Großvater vor zwei Jahren starb, hatte ich zwei solche Momente. Der eine während des Nachtfluges zur Beerdigung, als wir extreme Turbulenzen hatten. Das Flugzeug ist nur so in die Schweiz gehüpft und mir war als würde die Luft aus allen Seelen bestehen, die je gelebt haben oder noch leben werden, und die uns bei jedem Atemzug etwas von ihrer Energie geben.

Das ist, obwohl es ein wenig unheimlich klingt, eigentlich ein schöner Gedanke. Gerade für eine Person mit Flugangst wie mich ...

TIKA: Klar, das seh ich auch so. Wenn ein Flugzeug in Turbulenzen kommt, erlauben sich diese Seelen eben uns Lebende auf eine Achterbahn zu schicken. Als ich nach der Bestattung mit meinem Bruder noch einmal zum Grab unseres Großvaters ging, summten die Blüten nur so vor Bienen, und zwar nur die Blüten an seinem Grab. Mein Großvater war ein leidenschaftlicher Imker. Seither denke ich automatisch an ihn wenn mir eine Biene über den Weg fliegt. Seine Energie lebt für mich in Bienen weiter.

Und welches Tier wärst dann Du?

TIKA: Je nachdem... Katze, Löwe, Tiger. Wenn's ums Wellenreiten geht, ein Jacaré, aber nur dann.

Was hat Street Art mit Mode zu tun?

TIKA: Dass Street Artists meistens auch Kleider tragen und Modemacher täglich an bemalten und beklebten Wänden vorbei kommen? Oder dass das eine das andere immer mehr aufgreift.

Du hast bei deiner Performance Menschen, die Deine in Zusammenarbeit mit den Modelabels amateur und A I M designte Tier-Kollektion getragen haben, in die „Arche Noah" gerettet. Eine notwendige Maßnahme? Gehst Du vom Weltuntergang aus?

TIKA: Nein, eigentlich nicht. Dass sich die Welt wie wir sie kennen verändert, ist gut möglich. Sehr wahrscheinlich ist ein Szenario, in dem die Natur nicht mehr akzeptiert, dass der Mensch den Boden aussaugt, ihn umgräbt, zubetoniert, abbrennt, abholzt und die Luft verdreckt. Untergehen wird die Welt deswegen nicht. Der Mensch hingegen vielleicht schon ...

Während ich male höre ich meistens Geschichten oder Texte zu allen möglichen Themen. Einmal habe ich einen Beitrag zum Ende des Maya-Kalenders und den Theorien zum Weltuntergang Ende 2012 gehört. Darin wurde auch von einem einmaligen, punktuellen Absinken der Energie-Werte des magnetischen Feldes, das die Welt umspannt, berichtet. Dies geschah am 11. September 2001 während des Einschlags des zweiten Flugzeuges in die Twin-Towers. Noch nie wurde ein Ereignis weltweit von so vielen Menschen live im TV mitverfolgt. Ich erinnere mich noch genau was ich gerade gemacht habe. Ich war in Barcelona und habe mir die Haare gekämmt.

Warum ich das erzähle? Eine Theorie besagt, dass dieses Absinken der Energiewerte der Schreckmoment im Herzschlag der Menschheit war. Die Emotionen jedes Menschen bestimmen dessen Herzschlag, gemeinsam gemessen entsteht der Durchschnitt des globalen menschlichen Herzschlages. Ähnlich der Gezeiten der Meere durch den Mond, erzeugt das Schlagen eines Herzens ein Energiefeld. In diesem Moment ist der Menschheit sozusagen das Herz in die Hose gerutscht.

Klingt nach einer Art Verschwörungstheorie, wenn auch nach einer romantischen.

TIKA: Ja, mag sein. Aber auch wenn es Humbug ist, für mich ist der Kern einleuchtend. Wenn weltweit Menschen anfangen einander unabhängig von Herkunft, Bildung, Geschlecht und politischer oder religiöser Einstellung zu respektieren und einander ab und zu mal zu helfen und dafür 5 Minuten zu spät kommen, würden wir bestimmt gemeinsam einiges an Karmapunkten bei der Natur gutmachen. Zu Fuß gehen oder Fahrradfahren und bewusster und eventuell weniger konsumieren wäre sicher auch nicht schlecht. In Zusammenarbeit und mit der Natur im Einklang, kann die vielseitig erwartete Veränderung auch eine positive sein.

Geboren in Zürich, lebt und arbeitet TIKA heute überwiegend in Berlin und Rio de Janeiro. Aufgewachsen in Kairo ist sie von klein auf fasziniert von der visuellen Sprache der alten Ägypter und der Mythologie dieser Hochkultur. In Mexico City entstehen 2003 die ersten Zeichnungen als TIKA, welche sich mit der Abstraktion und Reduktion der Linien im menschlichen Gesicht befassen und den Grundstein zu ihrer heutigen Bildwelt legen. Sie greift ortsspezifische Gegebenheiten auf und überträgt diese unter anderem als Wandbilder auf Hausfassaden, Holzschnitte, Leinwände, wie auch auf Autos. Eines Ihrer Bilder wird am Liftturm der STREET ART PASSAGE VIENNA ausgestellt. TIKA war im Juli 2012 Artist-in-Residence des quartier21/MQ.

Hinter dem Wiener Modelabel amateur steht die Modemacherin Birgit Rampula. Seit 2007 vertreibt sie ihre handgemachten Einzelstücke im eigenen Shop/Atelier in der Gumpendorferstraße.

Das Schweizer Label A I M bietet seit 2004 maßgeschneiderte Alltagskleidung und Accessoires. Die Arbeit ist geprägt durch eine feine Auswahl hochwertiger Stoffe, einfacher Schnitte und viel Liebe zu Details und Handarbeit.