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Ministerpräsident Mariano Rajoy hat den Ball an die Zentralbank zurückgespielt.

Foto: REUTERS/Susana Vera

Madrid/Berlin - Spanien ist ein Kandidat für den Euro-Rettungsschirm. Lange Zeit war diese Lesart für die Regierung in Madrid tabu. Jetzt bereitet sie die Märkte in einer Salamitaktik darauf vor, dass das strudelnde Land als erstes Schwergewicht der Eurozone doch um Hilfe bitten könnte. Sie will das Manöver aber nicht als Flucht unter den Rettungsschirm gewertet wissen, sondern als strategischen Schachzug.

Da kommt es sehr gelegen, dass in den nächsten Wochen keine Schulden bedienen muss und das Land bereits mehr als die Hälfte des Kapitalbedarfs für dieses Jahr am Markt gedeckt hat. Doch die Finanznöte der am Rande des Ruins taumelnden Regionen dürften dem Zentralstaat in den nächsten Monaten zu einem Hilferuf treiben.

Schützenhilfe

Als Getriebener will der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy aber nicht erscheinen. Vielmehr verbreitet er die Botschaft, dass er vor einem Rettungsgesuch in Brüssel zunächst eine komplizierte Formel mit mehreren Unbekannten auflösen müsse. Die zentrale Variable darin ist die Rolle der EZB, die Hilfen der Rettungsfonds EFSF und ESM mit Staatsanleihenkäufen flankieren kann. Rajoy will diese Schützenhilfe aus Frankfurt nun daraufhin überprüfen, ob sie "angemessen" ist. Dabei hat EZB-Chef Mario Draghi Bondkäufe von Schuldenländern ausdrücklich an die Bedingung gekoppelt, dass hilfsbedürftige Eurostaaten sich zunächst an den Rettungsfonds wenden müssen und dieser damit die Hilfsaktion lenkt.

Nun hat Rajoy den Ball geschickt zurück ins Feld der Zentralbank gespielt, die erst am 6. September zu ihrer nächsten Zinssitzung zusammenkommt. "Wir haben Zeit", betont Wirtschaftsminister Luis de Guindos, der darauf verweist, dass das Land bereits den Großteil seines für dieses Jahr veranschlagten Kapitalbedarfs am Markt gedeckt habe. Nach dem Studium der Details des EZB-Plans will Guindos einen "genauen Zeitplan" erstellen. Wie könnte der aussehen?

Erst wenn das Bundesverfassungsgericht am 12. September in Karlsruhe grünes Licht für den permanenten Rettungsfonds gegeben hat, steht der ESM für Kreditlinien an Spanien bereit. Dazu benötigt der Fonds für den üblichen Zeitraum von drei Jahren rund 300 Mrd. Euro, rechnet Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer vor: "Das könnte der ESM stemmen." Die maximale Feuerkraft des Fonds beträgt 500 Mrd. Euro, die als Ausleihvolumen zur Verfügung stehen. Zugleich hat der vorläufige Rettungsfonds EFSF noch knapp 150 Mrd. Euro im Topf.

Maroder Bankensektor

Spanien hat bereits bis zu 100 Mrd. Euro für seinen maroden Bankensektor in Brüssel beantragt und robbt sich nun langsam an den großen Rettungsschirm heran. Aus dem Umfeld Rajoys verlautete, der sprichwörtliche spanische Stolz stehe einem Hilfegesuch nicht im Wege. Der Ministerpräsident schaue sich diese Möglichkeit genau an und sei auch bereit, die politische Verantwortung für einen Hilferuf zu übernehmen. Viele Argumente sprechen dafür, dass Rajoy noch in diesem Jahr die Reißleine zieht. Bei Kapitalmarktzinsen im Bereich um sieben Prozent sind die Refinanzierungskosten des spanischen Staats auf Dauer kaum mehr tragbar.

Das strauchelnde Land muss dieses Jahr noch 27 Mrd. Euro am Kapitalmarkt aufnehmen, um seinen mittel- und langfristigen Refinanzierungsbedarf zu decken. Zudem gilt es, eine zweistellige Milliardenlücke zu füllen, da das Defizit wegen der Rezession höher als zunächst veranschlagt ausfällt. Ziel der Regierung ist es, die öffentliche Neuverschuldung in diesem Jahr auf 6,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu begrenzen. Trotz des auf zweieinhalb Jahre veranschlagten Reform- und Sparpakets im Umfang von 65 Mrd. Euro werden die Maßnahmen in diesem Jahr wohl nur Einsparungen von 13,5 Mrd. Euro bringen, wie Commerzbank-Ökonomin Ulrike Rondorf schätzt: "Dies wird wohl nicht ausreichen, das Defizitziel zu erreichen."

Spätestens zum Ende des Jahres dürfte es für Spanien eng werden: Dann werden Geldmarktpapiere im Volumen von 35 Mrd. Euro fällig. Die Regierung kann dabei nur auf einen Kapitalpuffer von 29 Mrd. Euro zurückgreifen. Zugleich steuern die autonomen Regionen, denen wegen schlechter Bonität der Zugang zum Kapitalmarkt praktisch verschlossen ist, zum Jahresende auf Refinanzierungsengpässe zu. Die Regierung will den finanzschwachen Gebieten mit einem Fonds im Volumen von 18 Mrd. Euro zur Hilfe eilen, der sich zu einem Drittel aus Lottomitteln speist.

Den Rest muss Madrid anderweitig finanzieren. Valencia hat als erste der 17 Regionen offen eingeräumt, auf Finanzhilfe aus Madrid angewiesen zu sein. Rund ein halbes Dutzend Regionalregierungen dürften dem Beispiel folgen und bei der Zentralregierung um Hilfe anklopfen: darunter mit Katalonien auch die wirtschaftliche Herzkammer des Landes. Die Region an der Grenze zu Frankreich drückt eine Schuldenlast im Volumen von rund 40 Mrd. Euro. (APA/Reuters, 6.8.2012)