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Kämpferische Nadeschda Tolokonnikowa: Vorläufig zum letzten Mal wurden die drei Angeklagten am Mittwoch in das Moskauer Gericht überführt. Für den 17. August wird das Urteil erwartet.

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In diesem Glaskäfig mussten die Angeklagten die letzten eineinhalb Wochen ihre Verhandlung verfolgen. v.l.n.r.: Nadeschda Tolokonnikowa, Maria Aljochina und  Jekaterina Samuzewitsch.

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Die drei Angeklagten im Pussy Riot-Prozess hielten am Mittwoch Vormittag ihre Schlussplädoyers im Moskauer Gericht, vor dem sie sich wegen "Rowdytums" und "religiöser Hetze" verantworten müssen. Nadeschda Tolokonnikowa (22), Maria Aljochina (24) und Jekaterina Samuzewitsch (29) sparten nicht mit Kritik am politischen System in Russland und zitierten immer wieder aus Bibelstellen. Sie betonten, dass der Zuspruch in der russischen Bevölkerung und in der Welt für ihre Anliegen steige. Als "Manifeste gegen Repression, mangelnde Pressefreiheit sowie Autoritarismus und Totalitarismus", bezeichnete "Guardian"-Korrespondentin Miriam Elder die Schlussreden.

Tolokonikowa: Prozess als politischer Auftrag zur Repression

Tolokonikowa betonte in ihrem Plädoyer, dass hinter dem Prozess das gesamte Regierungssystem in Russland stecke. Vor allem aber sei das Gericht der politische Auftrag zur Repression. Immer mehr Menschen würden die Anliegen von Pussy Riot unterstützen. Selbst ChristInnen würden für sie beten, was der Beweis dafür sei, dass es keine homogene Gruppe namens "orthodoxe Christen" in Russland gebe. 

Freier als die Klägerseite

Tolokonikowa bedankte sich für die Unterstützung in Russland und im Ausland. Sie verwies auf Madonna, die den Aktivistinnen bei ihrem Konzert am Dienstag Abend Mut zusprach. "Obwohl wir hinter Gittern sind, sind wir freier als die Leute auf der Kläger-Seite, weil wir sagen können, was wir denken".

Die 22-Jährige äußerte sich auch verhalten optimistisch: Obwohl das politische System in Russland derzeit autoritär sei, sei sein Zusammenbruch abzusehen. Wenn ein System sich gegen drei Mädchen richte, die 30 Sekunden in einer Kathetrale performen, dann zeige dies, dass es Angst vor der Wahrheit habe.

Tolokonikowa sparte auch nicht mit christlichen Anspielungen. Bereits im Alten Testament stünde, dass die Wahrheit siegen werde. Unter Christentum verstehe die Aktivistin die Suche nach der Wahrheit sowie Selbstüberwindung. Dies seien die Gründe gewesen, warum sie in die Kathetrale gegangen seien. Mit Blick auf ihr Verfahren schloss sie, man möchte meinen, der stalinistische Terror habe Russland nichts gelehrt.

Aljochina: "Wir sind unschuldig, das sagt die ganze Welt"

Maria Aljochina sprach im Anschluss. Pussy Riot sei gegen das Putinsche Chaos, das sich nur nach außen hin Regierung nenne. Die Institutionen dieses Systems würden mutieren und damit die bürgerliche Gesellschaft in Russland vernichten. Der einzige Dialog, zu dem das Regime fähig wäre, sei das Gericht.
Auch sie verwies auf die internationale Unterstützung, die ihnen zuteil werde: "Wir sind unschuldig, das sagt die ganze Welt." 

Samuzewitsch: "Wir haben auch gewonnen"

Als letztes stellte die Angeklagte Samuzewitsch die rhetorische Frage, warum das Putin-System die Ästhetik der Religion für sich benutze. Putin habe Angst, dass ihn die Bevölkerung stürzen könne, weshalb er sich an die Geschichte wende, in der die Macht nicht von irdischen Kräften, sondern von Gott verliehen wurde.

Der unerwartete Auftritt von Pussy Riot hätte allerdings die neuen Muster der Macht gestört: "Wir zeigten offen, dass die orthodoxe Kultur weder dem Patriarchen noch Putin gehört, sondern genauso auf der Seite von Protest und Wiederstand stehen kann".

Der drohende Schuldspruch löse bei ihr gemischte Gefühle aus. "Wir haben verloren, aber im Vergleich mit dieser Maschine sind wir nichts. Also haben wir auch gewonnen."

Staatsanwaltschaft fordert drei Jahre Haft

Der eineinhalb Wochen dauernde Prozess wurde von den russischen Behörden live im Internet übertragen, zahlreiche internationale KorrespondentInnen widmeten sich zudem der Begleitung des Prozesses via Twitter. Dieser liegt auch die Zusammenfassung der Schlussplädoyers zugrunde, die Sie hier finden. Der Staatsanwalt forderte am Dienstag drei Jahre Haft für die drei Aktivistinnen. Das Urteil soll am 17. August verkündet werden. (freu, dieStandard.at, 8.8.2012)