Irene Kloimüller ortet zwar Bewusstsein für die sich ändernde Altersstruktur in den Unternehmen, allerdings mündet dieses nicht immer in Tatendrang.

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45- bis 64-Jährige werden in wenigen Jahren die größte Altersgruppe am Arbeitsmarkt bilden. In manchen Unternehmen wird sich der Großteil der Belegschaft - unter den derzeitigen Rahmenbedingungen - in die Pension verabschieden. Konkret bedeutet das enormen Wissens- und Erfahrungsverlust für die Wirtschaft. Einblick, wie Firmen damit umgehen, hat Irene Kloimüller, die Arbeitgeber im Generationenmanagement begleitet. 

derStandard.at: Das AMS zählt Menschen ab 45 zur Altersgruppe "alt". Zählen Sie da selbst dazu?

Kloimüller: Alle Altersgrenzen sind letztlich künstlich geschaffen. Wir haben verschiedene Altersbegriffe, das kalendarische, das psychologische, das biologische, das soziale. Ich bin 48, selbstständig und auf höchstem Leistungsniveau. Aber wenn ich mich mit meiner hohen Qualifikation jetzt am Arbeitsmarkt bewerben würde, wäre ich aus Sicht der Wirtschaft überqualifiziert, zu teuer und zu alt. 

In vielen Betrieben ist immer noch das Denken verankert, dass Menschen durchschnittlich mit Mitte 50 in Pension gehen. Ist jemand Mitte oder Ende 40, lautet die Rechnung, dass die Person nur noch ein paar Jahre im Betrieb sein wird - warum also noch etwas hineininvestieren? Ich glaube aber, diese Einstellung wird sich langsam auflösen.

derStandard.at: Das Argument der Arbeitgeber, dass die Älteren auch mehr Geld kosten, wird aber nicht so schnell aus der Welt zu schaffen sein.

Kloimüller: Da ist die Politik gefragt, Rahmenbedingungen zu schaffen und mit den Sozialpartnern zu verhandeln. Im Prinzip wäre es gut, mit einem höheren Einstiegsgehalt zu beginnen und nur bis zu einem gewissen Alter Gehaltssteigerungen zu haben, um dann relativ stabil stehen zu bleiben. Laut einer Untersuchung wäre dieser Cut bei 46 Jahren ideal, es kommt aber auf die Branche an.

derStandard.at: Sind sich Unternehmen bewusst, dass sich die Altersstruktur in den nächsten Jahrzehnten radikal ändern wird? Ziehen sie Konsequenzen?

Kloimüller: Größere Firmen, vor allem Produktions- und Dienstleistungsunternehmen, sind sich dessen schon bewusst. Nur heißt das nicht, dass sie unbedingt reagieren. Obwohl viele die Altersstruktur kennen, unterschätzen sie die Herausforderung. Sie glauben, dass es Schlupflöcher geben wird, sie genügend Jüngere finden werden. Da trennt sich die Spreu vom Weizen: Jene, die aus der Altersstruktur Konsequenzen ziehen, sind zurzeit noch die Minderheit. 

derStandard.at: Welche Branchen gehören zu diesen wenigen?

Kloimüller: Gesundheitseinrichtungen etwa, sie haben jetzt schon genug Probleme, Personal zu bekommen. Dann die Industrie im chemischen Bereich, der Metall-, Holz- und Papierverarbeitung - überall dort, wo es hoch qualifizierte, komplexe Tätigkeiten gibt, die man lange antrainieren muss, wo eine gute Ausbildung notwendig ist. Zum Teil zieht auch der EDV-Bereich nach. Überall dort, wo viele Fachkräfte arbeiten, wird bewusst versucht, ältere qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten. Die Firmen merken, dass es nicht so leicht ist, die Guten am Arbeitsmarkt zu bekommen, sondern dass man schon viel machen muss, um attraktiv zu sein für alle Altersgruppen.

derStandard.at: Wie gehen die Klein- und Mittelbetriebe damit um?

Kloimüller: Die KMUs haben große Probleme mit der Altersstruktur. Aufgrund des operativen Tagesgeschäfts beschäftigen sie sich häufig erst dann damit, wenn es zu spät ist. Sie haben zum Teil sehr große soziale Verantwortung und versuchen, individuelle Lösungen zu finden, aber irgendwann kippt es dann. Die Mehrheit der Betriebe unter 50 Beschäftigten in Österreich beschäftigt sich nicht mit Generationenmanagement. Der Bäckerei- oder der Handwerksbetrieb um die Ecke tun sich da wirklich schwer.

derStandard.at: Sind die Personalverantwortlichen in den Unternehmen damit zu begeistern, dass die Älteren wertvolle Wissensträger sind? Oder ist die Ressource Wissen in der Praxis nur ein Schlagwort?

Kloimüller: Es ist häufig nur ein Schlagwort. Im Sinne der politischen Correctness bekommt man das zwar zu hören, gelebt wird es aber nicht. Denn es geht ja darum, das komplexe, spezielle, vernetzte Wissen nutzbar zu machen. Mit einer Wissensdatenbank ist es da nicht getan. In der Personalentwicklung fehlt das Wissen, wie man Wissen eigentlich sichtbar macht. Oft bekomme ich zu hören: Was die Älteren an Wissen haben, ist veraltet, das brauchen wir eh nicht. Daran merke ich, dass sich Unternehmen nicht mit dem impliziten Wissen beschäftigt haben.

derStandard.at: Gibt es andererseits auch zu wenige Tools, wie man dieses implizite Wissen speichern, sichtbar machen kann?

Kloimüller: Es gibt schon Tools, aber sie sind noch nicht so bekannt: Wissenslandkarten, Mentoring, Tandemsysteme, Storytelling. Aber sie sind noch nicht Standard in der Personalentwicklung.

derStandard.at: Glauben Sie, dass sich das Denken der Menschen ändern wird? Unsere Gesellschaft ist ja schon sehr davon geprägt, dass Arbeit ein lästiges Muss ist.

Kloimüller: Es stimmt, wir haben in unserer Kultur nicht die positivste Einstellung zu Arbeit, sie wird oft mit Leid, Zweck und manchmal Zwang verbunden. Das beginnt schon in der Schule - im großen Unterschied zu den nordischen Ländern. 

Ich erlebe aber schon, dass viele Menschen gern länger arbeiten würden, wenn gewisse Rahmenbedingungen stimmen. Gerade im Gesundheitsbereich nimmt die Motivation oft mit dem Alter ab, obwohl die Beschäftigten eine positive Einstellung zu ihrer Arbeit haben. Die Sinnhaftigkeit kaschiert zwar vieles, das hält aber nicht über Jahre. Passen die Rahmenbedingungen nicht, werde ich trotzdem demotiviert. 

derStandard.at: Es gibt Personalberatungen, die sich extra auf Ältere spezialisiert haben. Ist das ein erster Schritt?

Kloimüller: In Österreich haben fast alle Beratungsunternehmen, die mit Personalentwicklung oder Gesundheitsmanagement zu tun haben, das Thema Altersmanagement aufgenommen. Aber es gibt auch spezielle Plattformen für sehr qualifizierte ältere Menschen, die in Pension gehen, aber zum Teil zur Verfügung stehen würden.

Doch auch hier ist wieder die Politik gefragt: Die Abschläge für die Pensionisten und Pensionistinnen sind so stark, dass es finanziell nicht attraktiv ist zu arbeiten. In anderen Ländern gibt es sogenanntes Bridge Employment, wo man den Pensionsanspruch nicht verliert, wenn man dazuverdient. In manchen Betrieben herrscht aber auch die Sorge, dass ein ungünstiger interner Wettbewerb entsteht, wenn man ältere Experten ins Boot holt.

derStandard.at: Kommen Führungskräfte zu Ihnen, die sagen, jetzt gehöre ich zum alten Eisen?

Kloimüller: Ja, Menschen, die sehr engagiert waren und deren Expertise plötzlich nicht mehr gefragt ist, haben oft Krisenschockerlebnisse. Unlängst hatte ich eine Führungskraft, die man zwar mit Golden Handshake verabschiedet hat, für die das aber dramatisch war. Schlussendlich ist diese Person mit einem ganz negativen Bild über den Betrieb aus dem Berufsleben ausgeschieden. (Marietta Türk, derStandard.at, 29.8.2012)