Ferruccio Furlanetto über die herausfordernde "Winterreise": "Ich bin danach mental und emotional völlig erschöpft." 

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Ein Gespräch über die Tücken des deutschen Lieds und die zweifelhaften Tendenzen in der italienischen Kulturpolitik.

Wien - Es war eine Überraschung, als Ferruccio Furlanetto im vergangenen Jahr (bei Prestige Classics Vienna) eine Aufnahme von Schuberts "Winterreise" vorlegte. Große Oper, das zentrale Betätigungsfeld des seit Dekaden weltweit gefeierten Bassbaritons, und frühes deutsches Lied: Das sind wohl so unterschiedliche Terrains wie eine mehrspurige italienische Autostrada, auf der potente Luxusboliden um die Wette röhren, und ein einsamer Feldweg in deutschen Landen, der Lindenbäume und Krähenfelder passiert.

Doch die Kritik zeigte sich nicht unbegeistert: Als "ein wunderbares Erlebnis" pries "Der neue Merker" die Einspielung, die "Wiener Zeitung" sprach Furlanetto "effektvolle Modulationen seines Tonfalls" zu. Tatsächlich bemüht sich der Opernstar in der technisch souveränen Interpretation des allertraurigsten Allerheiligsten des Liedguts hörbar um Dezenz und gleichbleibenden Wohlklang.

Die "Winterreise" - eine unerwartete späte Liebe des 63-Jährigen? Nein, stellt Furlanetto mit sonor klingender Märchenonkelsprechstimme fest, eigentlich hätte er schon vor 20 Jahren zum ersten Mal daran gedacht, das Werk zu singen. "Ich habe es studiert, habe nach den richtigen Stimmungen gesucht. Letztlich habe ich dann aber gemerkt, dass ich noch nicht bereit bin dafür. Im letzten Jahr war der richtige Moment gekommen."

Emotionale Herausforderung

Hat er sich Vorbilder für seine Interpretation gesucht? Dietrich Fischer-Dieskau vielleicht, die erst vor kurzem verstorbene Lichtgestalt des Liedgesangs? Es folgt erneut ein Nein: Fischer-Dieskau hätte dafür eine zu helle Stimme. Bei Hans Hotter sei er aber fündig geworden: "Seine Stimme ist meiner sehr ähnlich, er hat mich beeinflusst, was die Mischung der Stimmfarben anbelangt."

Die "Winterreise", so Furlanetto weiter, sei ja weniger für die Stimme eine Herausforderung als für den Geist: "Ich bin danach mental und emotional völlig erschöpft." Kennt er als gefeierter Sänger eigentlich solche Situationen der Einsamkeit, der Verzweiflung, des Außenseitertums, wie sie Textdichter Wilhelm Müller hier schildert? "Natürlich. Jeder kennt solche Situationen, vielleicht nicht in so extremer Form. Gefühle und Lebensumstände wechseln wie das Wetter und die Jahreszeiten, dem sind wir Menschen genauso ausgesetzt wie die Tiere."

Die Frage, ob es schwierig sei, auf Deutsch zu singen, beantwortet Furlanetto lachend mit einem Satz: "Für einen Italiener auf jeden Fall." Die vielen harten Konsonanten (von denen Furlanetto bei der Aufnahme den einen oder anderen etwas abschleift) und die Kehllaute seien eine Herausforderung. Das Russische mit seinen vielen Vokalen und den weicheren Konsonanten liege ihm mehr.

Ist ihm sein Liedbegleiter mehr Diener oder Partner? "Einer meiner ersten Pianisten, mit dem ich Lied gemacht habe, war Alexis Weissenberg - sicher kein Dienertyp. Mit ihm habe ich Lieder von Rachmaninow und Mussorgsky gemacht, die ich auch bei meinem Recital an der Wiener Staatsoper im Mai 2013 singen werde. Der junge russische Pianist Igor Tchetuev, mit dem ich auch beim Carinthischen Sommer die 'Winterreise' mache, ist ein sensibler, tieffühlender Künstler. Zwei Persönlichkeiten müssen eins werden beim Lied, nur so kommt ein überzeugendes Erlebnis zustande." An der Staatsoper, deren Ehrenmitglied er ist, singt Furlanetto im September auch den Procida in Verdis "I vespri siciliani".

Welche Bedeutung hat dieses Haus für ihn? "Es ist meine Heimat. Ich singe hier seit 27 Jahren. Die Beziehung zum Publikum, das ist einfach nur Liebe." Auf die Situation der Opernhäuser in Italien angesprochen, zeigt er sich besorgt. Erst vor kurzem habe ihm der Direktor der Oper von Palermo gesagt, dass seine Subventionen um sechs Millionen Euro gekürzt wurden. "Früher war man in Italien stolz auf die Kultur. Vor einiger Zeit hat ein Politiker der Lega Nord gesagt, er wäre stolz, dass er noch nie im Leben einen Fuß in ein Theater gesetzt hätte."

Hat Furlanetto schon einmal einen Fuß nach Kärnten gesetzt? Oder eine längere Sommer- oder Winterreise durch Österreich unternommen? "Nein", gesteht der Sänger. Er sei nur in Wien gewesen, in Salzburg. Kärnten kenne er noch nicht - eigentlich seltsam, weil er ja quasi ums Eck aufgewachsen sei, bei Treviso. "Aber ich freue mich schon sehr." (Stefan Ender, DER STANDARD, 17.8.2012)