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Diesjährige Bachmannpreisträgerin Inka Parei.

Foto: apa/epa/eggenberger
Aus dem mittelmäßigen Wettbewerb der 27. Tage der deutschen Literatur in Klagenfurt ging die in Berlin lebende Inka Parei mit einem Auszug aus ihrem unveröffentlichten Roman triumphal als Bachmann-Preisträgerin hervor.


Klagenfurt - Die ausgeklügelte Dramaturgie des Zufalls wollte, dass die 27. Tage der deutschen Literatur in Klagenfurt bis zuletzt beides blieben: zutiefst ermüdend und hochspannend.

Beides übrigens aus ein und demselben Grund. Noch am späten Samstagmorgen, nach sechzehn Lesungen, hatte kein Text vermocht, die Mehrheit der Jury zu überzeugen. Zwar hatte der Hamburger Songschreiber, Gitarrist und Sänger der Band Brüllen, Kristof Schreuf, mit seinem sentenzenreich-witzigen, klugen Monolog eines "Konsumenten", also Junkie und Dealer, über das Wesen der Arbeitswelt mit dem Titel "Wahrheit ist das wovon Männer gerne behaupten, dass es ihnen um sie geht" einen neuen Ton in die Lesungen gebracht - wie üblich behagte der aus dem Klagenfurter Rahmen fallende Text aber nur wenigen Jurymitgliedern.

Auch der in Columbus, Ohio, lehrende Germanistikprofessor Gregor Hens, dessen Roman Himmelssturz im vergangenen Jahr überwiegend begeistert rezensiert wurde, konnte mit seiner reichlich akademisch konstruierten Geschichte "John F. Kennedy und der Ausbruch des Irazù", die auf wenigen ehrgeizigen Seiten das Attentat auf John F. Kennedy und den Vulkanausbruch vor dem Hintergrund des Schicksals zweier puerto-ricanischer Zwillinge verknüpft, keine Begeisterung bei Jury und Publikum auslösen.

Diese erwachten erst und definitiv, als die 35-jährige Inka Parei zu lesen anhob. Bereits nach wenigen Minuten hatte der Vortrag des titellosen Textes, der einen Auszug aus Inka Pareis kommendem Roman bot, den Saal in konzentrierte Stille gebannt. Parei wagte, was alle mieden - und gewann. Unter Verzicht auf das Klagenfurt-übliche Szenario aufdringlich einander übertrumpfender Katastrophen - mehr hilft mehr, scheinen sich heuer die Autoren geirrt zu haben, und häuften, was an Katastrophalem verfügbar war, in ihre dörflichen Seiten - richtete Parei den aufmerksamen Blick auf das Unbeachtete farbloser Alltäglichkeit: auf einen namenlosen "alten Mann", den die Erbschaft eines heruntergekommenen Mietshauses an einer lärmigen Ausfallstraße vor Frankfurt zum späten Umzug aus Berlin veranlasst hatte.

Zeitlupenhaft verlangsamt bewegt sich der Text mit dem auf Krücken angewiesenen Alten durch den Verfall des schmucklosen Hauses. Eine Begegnung mit einem "Fremden", ein Sturz und die Andeutung einer Erinnerung des Alten kündigen Handlungsstränge an, die fortzuführen der Roman verspricht.


Diskretion

Das Interesse an der Figur, die Schlichtheit der Sprache und die Genauigkeit der Detailbeobachtungen (Iris Radisch etwa begeisterte sich wortreich für die Schilderung eines Putzlappens) der in Berlin lebenden Autorin, die vor vier Jahren ihren ersten Roman, Die Schattenboxerin, bei Schöffling veröffentlichte, riss spontan acht der neun Juroren zu Beifallsbekundungen hin. - Einzig Thomas Steinfeld bemerkte süffisant, die Genauigkeit erinnere ihn an den Plan, eine Karte Frankreichs im Maßstab 1:1 anzufertigen.

Ein Urteil, mit dem er bis zuletzt allein blieb: Am Sonntag erkannte die Jury in lange nicht da gewesener Einhelligkeit Inka Parei den mit 22.500 Euro dotierten Ingeborg-Bachmann-Preis zu.

Und auch das Publikum schloss sich - erstmals seit Einführung des mit 5000 Euro dotierten Publikumspreises - in seinem Internetvotum der Jury an. Komplizierter Stichwahlen hingegen bedurfte es für die Ermittlung aller anderen Gewinner. Letztlich ging der mit 10.000 Euro versehene Preis der Jury an Feridun Zaimoglu, der 3sat-Preis (7500 Euro) an Farhad Showghis lyrische Erinnerungen an den Vater, und in der Stichwahl um den Ernst-Willner-Preis (5000 Euro) unterlag die einzige Österreicherin, Olga Flor, knapp Ulla Lenze.

Olga Flors "Wiederkehr" einer alternden Tochter, die resigniert, kinderlos und alkoholkrank in das Haus ihres verwitweten Vaters heimkehrt, konnte sich, trotz seiner schlanken Sprache, des exakt konstruierten Motivaufbaus, nicht durchsetzen. Dem Text haftete bei allem Können der Beigeschmack der Schreibübung an.

Gemischten Beifall fand übrigens auch der zuletzt gelesene Text "Prosa Proserpina Prosa" des Südtiroler Lyrikers Oswald Egger. Eggers in Wortfindungen schwelgende Neuschöpfung der (Unter-)Welt aus dem Geist der Sprachlust erschien der Jury doch zu selbstverliebt. - Einer Jury, die sich heuer bis zuletzt mit großem Ehrgeiz dem differenzierten Urteil verschrieben hatte.

Ob Daniela Strigls und Norbert Millers kenntnisreiche Analysen, ob Burkhard Spinnens bildreiche Vergleiche, ob Ilma Rakusas und Josef Haslingers ruhige Bemerkungen: Lange war keine Jury in Klagenfurt so interessant zu hören. Mit allerdings zwei bezeichnenden Ausnahmen - die beiden mächtigen Großkritiker des deutschen Feuilletons, Iris Radisch ( Die Zeit ) und Thomas Steinfeld (früher Frankfurter Allgemeine Zeitung , nun Süddeutsche Zeitung ), argumentierten ebenso aggressiv wie emotional, also argumentativ unnachvollziehbar. Zumal Steinfeld zog sich auf "beklemmende Gefühle", Vergleiche - "erinnert mich an Kubin" - und Warnungen - "Warnung vor dem Ich" - zurück, um sein überwiegend vernichtendes Urteil zu rechtfertigen. Wollte man Iris Radischs sportliche Einführung verschiedener Ligen für die Literatur auf die Jury übertragen, wäre ihm der Abstieg im nächsten Jahr sicher. (DER STANDARD, Printausgabe, 30.6.2003)