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Jana Herwig ortet veränderte Kommunikationsweisen bei steigender Follower-Zahl: "Die größere Öffentlichkeit hat bei mir zu einer erhöhten Selbstoptimierungsarbeit geführt."

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Die bereits öfter gestellte Frage nach der geringeren Repräsentation von Frauen in den Sozialen Medien wurde am Donnerstag einmal mehr im Rahmen einer Veranstaltung der APA E-Business-Community unter dem Titel "Warum das Geplauder im Social Web männlich ist" erörtert. Eine der Vortragenden dieses Abends, die Medienwissenschaftlerin und Twitter-Expertin Jana Herwig, teilt die Einschätzung des Titels nicht und hat dies auch in ihrem Blog digiom kundgetan. Herwig stellt die oft angeführten Gründe für dieses Ungleichgewicht ("latenter Sexismus", "Frauen sind selbst schuld") in Frage, aber auch die Kategorien des Politischen, die in diversen Twitter-Studien als Ausgangspunkt genommen werden, um Frauen auf die hinteren Plätze zu verweisen. Sie erinnert an die alte Losung der zweiten Frauenbewegung, wonach das Private politisch sei. Mit dieStandard.at hat Herwig über eine verkürzte Repräsentationsdiskussion gesprochen.

dieStandard.at: Sie kritisieren den "Defizit-Diskurs" in Bezug auf die Frauenbeteiligung im Netz. Wie kommt dieser ihrer Meinung nach zustande?

Jana Herwig: Die Möglichkeiten, Geschlechterverhältnisse im Social Web darzustellen, werden oft überschätzt. Da ja alle Kommunikation datenbasiert abläuft, müsste sich, so die Annahme, auch das Ausmaß der Frauenbeteiligung klar ablesen lassen. Was oft zu kurz kommt, ist eine kritische Darlegung, wie man denn hier zu Ergebnissen kommt.

Ein Beispiel hierfür sind die beliebten Rankings, die den Einfluss einzelner UserInnen darstellen sollen. Da erscheint es zunächst einmal als transparente Lösung, die Publikumsgröße anhand von Kontakten (z.B. Friends oder Likes auf Facebook, Follower auf Twitter) zu bemessen. Reiht man so z.B. die österreichischen Twitterati nach Followern, generiert man - wenig überraschend - ein Ranking, das an der Spitze von Männern aus Print- und TV-Journalismus dominiert wird. Wer bereits über einen bekannten Namen verfügt und obendrein auch in anderen Medienkanälen vertreten ist, ist offensichtlich im Vorteil, was das Follower-Sammeln angeht - dass hier mehr Männer vertreten sind, sagt aber eher etwas über die etablierte Medienbranche aus als über Frauenbeteiligung im Netz.

Mit anderen Worten: Die Daten, die am einfachsten zur Verfügung stehen, haben eben auch nur eine begrenzte Aussagekraft. Darstellungsweisen wie Rankings lenken die Aufmerksamkeit auf die Spitze des Eisbergs und ignorieren, dass Netzmedien alle Beteiligten des Netzwerks als Resonanzkörper brauchen.

dieStandard.at: Sie haben mehrere Accounts auf Twitter. Wo liegen die Unterschiede bei der Benutzung?

Herwig: Ich benutze zur Zeit zwei Accounts aktiv, einen öffentlichen Account, den ich einerseits zum Lesen verwende - weshalb mir hier wichtig ist, einer heterogenen Mischung an Accounts zu folgen -, andererseits um selbst Kommentare zu schreiben und natürlich auch um Inhalte zu verbreiten, die mir wichtig sind. Diesen Account nutze ich seit Juni 2007, er ist relativ gut in der österreichischen Twittersphäre etabliert und je größer das potenzielle Publikum dort geworden ist, um so weniger habe ich dort über Persönliches geschrieben.

Die größere Öffentlichkeit hat bei mir zu einer erhöhten Selbstoptimierungsarbeit geführt, könnte man sagen. Ich schreibe weniger über potenziell für andere Irrelevantes als früher oder nutze andere Kanäle, etwa Facebook für Fotos vom Selbstgekochten. Man könnte auch kritisch sagen, dass ich alles eher mit femininer Arbeit Konnotierte nun in andere Kanäle leite. Zum Beispiel in mein zweiter Twitter-Account, in dem ich ausschließlich Frauen - Müttern und werdenden Müttern - folge und nur von Frauen gelesen werde. Dieser Account ist geschützt, ebenso wie die Hälfte der Accounts, denen ich folge - für Twitterrankings und andere datenbasierte Auswertungen sind diese Profile übrigens unsichtbar, d.h. schon aus technischen Gründen werden viele Frauen - die sich über Familienthemen äußern und daher ihr Privacylevel erhöht haben - aus Rankings und Studien ausgeschlossen. Über Zahlen kann man hier noch nicht einmal plausibel spekulieren - jedoch gibt es sie, die sehr aktive, unsichtbare Community an weiblichen "Influencern", wie es in der PR-Branche heißt.

dieStandard.at: Nach welchen Kriterien messen Sie den Erfolg ihrer Accounts?

Herwig: Erfolg ist im Social Web sehr relativ und sollte immer für den einzelnen Fall bestimmt werden. Rankings sind nur eine, recht simple Form der Objektivierung. Allerdings profitiere ich in der Tat davon, dass ich öffentlich adressierbar bin und auch davon, dass ich in einigen Twitterrankings in der Top 100 vertreten bin. Auch andere Formen des Feedbacks, die Social Media-Plattformen typischerweise generieren - etwa die Zahl der Likes, Weiterleitungen, Aufrufe, etc. - bieten sich hierzu an. Mit der Frage des persönlichen Erfolgs ist dies natürlich ungleich schwieriger, auch wenn wir im Social Web ja angeblich alle zu Personal Brandmanagern geworden sind.

dieStandard.at: Sie schreiben in Ihrem Blog, dass Sie von ihrem kleinen, geschützten "Twittermom"-Account mehr profitieren. Inwiefern?

Herwig: Mein Twittermom-Account bietet mir Zugang zu einer persönlichen Community von Personen, die vor der gleichen Herausforderung wie ich stehen: Familie, Beruf, Haushalt, persönliche Ansprüche jeden Tag wieder unter einen Hut zu bekommen. Auch bei ad hoc auftretenden Fragen bekommt man schnell Rückmeldung bis hin zu emotionalem Support. Durch das Lesen der Tweets der anderen werde ich vorbereitet auf Dinge, denen ich mich irgendwann werde stellen müssen - Dinge, die in der Welt der harten Themen von Politik und Technologie einen geringen Wert haben, aber im Familienleben einen hohen Stellenwert haben, etwa: "Wie mache ich das mit dem ersten richtigen Kindergeburtstag?"

dieStandard.at: Sollte die Auswertung nach Geschlecht in Social Media-Studien Ihrer Meinung aufgelassen werden?

Herwig: Wenn wir wirklich im Postpatriarchat angekommen sind, womöglich dann, aber das ist noch ein langer Weg. Scherz beiseite: Die Auswertung nach Geschlecht ist nicht das Problem, bei der Erläuterung der jeweiligen Gewichtung hapert es oft noch. Interessant wäre es sicher, Frauenbeteiligung einmal nicht unter dem defizitären Aspekt, ob sie denn jetzt soweit sind wie die Männer (und "endlich" auch über Politik bloggen), zu betrachten, sondern mit Blick auf das, was sie einbringen und leisten in der Ökosphäre des Netzes. (freu, dieStandard.at, 24.8.2012)