"Mir ist es nicht genug, nur meine Konzerte runterzuspielen. Man kann mit Musik viele gute Dinge in Bewegung bringen": Julian Rachlin, der in der Saison 2012/2013 zwei Wien Projekte plant.

Foto: Julia Wesely

Wien - Der Babyspeck ist schon seit längerem weg und die Brille mit Blauverlauf auch. Noch immer keine 40 Jahre alt (sondern erst 37), kann Julian Rachlin also fit und tiefenentspannt auf das Glück einer frühen, in den Teenagerjahren gestarteten Karriere zurückblicken, welche er bis ins mittlere Erwachsenenalter zu prolongieren verstand.

Ein leichter Schatten hat sich in den letzten Monaten auf die Geschäfte des in Litauen geborenen Sonnenkinds gelegt: Das von ihm seit zwölf Jahren geleitete Kammermusikfestival "Julian Rachlin and Friends" in Dubrovnik stehe, so der Geiger, höchstwahrscheinlich vor dem Aus. Aufgrund ausbleibender Sponsoren und mangelnder Unterstützung von politischer Seite musste schon das Programm für diesen September dramatisch gekürzt werden.

Rachlin sah sich gezwungen, elf der vierzehn geplanten Konzerte abzusagen, darunter Auftritte der Academy of St. Martin in the Fields, von Valery Gergiev und dem Orchester des Marijnsky Theaters, von Janine Jansen, von Lisa Batiashvili: "Das war mir sehr unangenehm." Er hätte die Vision gehabt, in Dubrovnik eine Art Mini-Verbier aufzubauen, so Rachlin; "über eine Million Euro" hätte er in den vergangenen Jahren dafür aus eigener Tasche investiert. Doch die politischen Kräfte von Stadt und Land hätten die Wichtigkeit nicht erkannt: "Schade. Dubrovnik wäre ideal dafür gewesen."

Doch das Kammermusikfestival soll es weiterhin geben, an einem anderen Ort. "Es gibt schon Anfragen aus zehn Städten. ‚Julian Rachlin and Friends‘ ist eine Marke geworden, die weltweit bekannt ist und für höchste künstlerische Integrität steht." Bezüglich Dubrovnik wolle er die positiven Momente in Erinnerung behalten, die Projekte, die Werke, die Freundschaften, die hier entstanden seien.

Eine 20-jährige Freundschaft verbindet Rachlin mit Zubin Mehta: 1992 nahm der in Vilnius geborene Geiger mit Mehta in Tel Aviv seinen ersten Tonträger auf. Mit Mehta trat er auch jetzt gerade mit dem Orquestra Sinfonica Heliopolis auf, im April dieses Jahres war er schon einmal nach Brasilien gereist, um dieses "tolle Projekt" in den Favelas von São Paolo, dem Simon Bolivar Youth Orchestra nicht unähnlich, zu unterstützen. "Mir ist es nicht genug, nur meine Konzerte runterzuspielen, und das ist es dem Zubin auch nicht. Man kann mit der Musik viele gute Dinge in Bewegung bringen."

Einem weiteren Freund Rachlins, Sir Roger Moore, ist es zu verdanken, dass er seit 2010 auch als Goodwill-Botschafter der Unicef Gutes tut. Was macht er da konkret? "Ich mache circa zehn Aktivitäten für die Unicef pro Jahr. Zum Beispiel längere Konzertprogramme im Fernsehen, bei denen man, wie bei Licht ins Dunkel, spenden kann. Die Erträge gehen dann direkt in ein konkretes Projekt: Bei einer solchen Aktion in Litauen gab es 170.000 Euro Spenden, damit konnten zwei Schulen in Afghanistan gebaut werden."

Musizieren und gestalten

Zwei große Wien-Projekte warten auf Rachlin in der Saison 2012/13: zum einen die Uraufführung eines Doppelkonzertes (für Violine und Viola) von Krzysztof Penderecki im Oktober, zum anderen ein Brahms-Zyklus im Februar 2013 im Musikverein. Das Doppelkonzert ist dem Penderecki-Großinterpreten Rachlin gewidmet - er hat in New York mit Penderecki debütiert, die Metamorphosen oft gespielt, das Sextett mit uraufgeführt, im Jahr 2000, mit Rostropowitsch am Cello.

"Ich habe Penderecki immer wieder sekkiert, bitte, schreiben Sie noch ein Konzert. Nun hat sich Thomas Angyan dankenswerterweise bereiterklärt, zum 200-jährigen Jubiläum der Gesellschaft der Musikfreunde dieses Werk in Auftrag zu geben. Penderecki wollte kein drittes Violinkonzert schreiben, also habe ich ihn um ein Doppelkonzert für Violine und Viola gebeten. Bei der Uraufführung werde ich den Violapart spielen und Janine Jansen den der Violine. Später möchte ich dann auch den Geigenpart spielen, und ich möchte es auch dirigieren."

Wenn ein Werk denn einmal fertiggestellt sei, sei Penderecki offen für Veränderungen. "Er hat für mich die Metamorphosen zehn Jahre nach der Uraufführung total verändert." Vielleicht, so Rachlin, nehme man die ganzen Hinweise im Notentext bei toten Komponisten in zu extremer Weise ernst. "Natürlich kann man Persönlichkeiten wie Sir Roger Norrington oder Nikolaus Harnoncourt gar nicht genug danken für ihre Arbeit auf dem Gebiet der historischen Aufführungspraxis. Trotzdem muss gerade bei einem Künstler mit einer solchen Lebensenergie und Improvisationslust wie Mozart dem Interpreten gestattet sein, im Moment zu musizieren und zu gestalten, frei und kreativ."

"Frei, aber einsam" ist das Motto des zweiten Projektes, welches Rachlin in Wien, aber auch in Amsterdam, in New York, in Tel Aviv präsentiert: den Brahms-Zyklus. Ein Musiker sei frei, also nicht an fixe Arbeitszeiten gebunden, aber auch einsam durch die ständige Reiserei. Mit Langzeitpartner Itamar Golan habe er die Sonaten schon oft einzeln gespielt, jedoch nie im Zyklus. "Es sind solche Meisterwerke. Und das gerade im Musikverein machen zu dürfen, wo Brahms ja noch selbst aktiv war, ist natürlich etwas ganz Besonderes." (Stefan Ender, DER STANDARD, 27.8.2012)