Die mit anspruchsvollen Stars bestückte Experimental Band (u. a. Roscoe Mitchell, Henry Threadgill und Wadada Leo Smith, v. li.) überzeugte als Kollektiv der lebendigen Jazzhistorie.

Foto: Klaus Bauer

Saalfelden - All-Star-Formationen gleichen bisweilen Fußballkollektiven, die - mit schillernden Spielmachern gespickt - leider nur zur gegenseitigen Behinderung antreten. Kommt auch im Jazz vor. Und es hätte sich auch in Saalfelden begeben können, dass die Experimental Band von Pianist Muhal Richard Abrams Opfer der vielen relevanten Individualegos wird. Mit Projekten markanter Figuren wie Henry Threadgill, Roscoe Mitchell, George Lewis und Amina Claudine Myers ließe sich ja ein halbes Saalfeldner Festivalprogramm mit markanten Besonderheiten bestücken.

Andererseits handelt es sich hier um die Wiederbelebung einer Gruppenidee, die schon vor Jahrzehnten ihre Funktionstüchtigkeit bewiesen hat. Als musikalische Plattform stand die Experimental Band für den bewussten Zusammenschluss von Musikern, die sich in der Association for the Advancement of Creative Musicians (AACM) auch um komplexe Musikformen abseits des Mainstream bemühten. Und weil der Anteil an freier Improvisation in Saalfelden hoch war, erwies es sich zusätzlich als unproblematisch, die disziplinierenden Ansprüche eines Kollektivs mit der Entfaltungsfantasie des Einzelnen zu versöhnen.

Abrams hat wenige kompositorische Inseln erdacht. Dazwischen lässt er seine Kollegen in Duos und Trios kommunizieren, bis schließlich alles in einer zehnstimmigen Eruption mündete. Die Soli? Saxofonist Threadgill legte seine Arbeit eher intim an, während Instrumentalkollege Mitchell die hohen Register mit den tiefen Saxregionen dialogmäßig verkeilte und so zu höchster Unmittelbarkeit fand.

In Summe ergab das eine intensive Stunde der freien Kommunikation und den Beweis, dass sich Exzentriker produktiv in ein Gesamtkonzept " einschmelzen" lassen, sofern man, wie Abrams, ein souveränes Händchen bei der Bündelung kompositorischer und improvisatorischer Elemente hat. Eine dichte, lebendige Wiedererweckung von Jazzhistorie.

Einiges, was daneben (an den ersten beiden Festivaltagen) aufgeboten wurde, zeigte sich indes nicht nur, was die Bandgröße anbelangt, als weitaus bescheidener dimensioniert. Die New Yorker Geigerin Jenny Scheinman etwa klang mit ihrem Quartettprojekt Mischief & Mayhem bisweilen ein wenig deplatziert - also gerade noch für ein Folkfestival geeignet.

Da gab es hurtig-rockige Passagen. Vielfach jedoch gefror die Musik ob einsilbig kitschiger Geigenkantilenen zum Dokument der Ideenblässe. Auch der umbrische Pianist Giovanni Guidi hatte solch Ausflüge in Regionen des Belanglosen im Angebot. Unzweifelhaft verfügt der Mann über hohe technische Fertigkeiten, die er in Soli effektvoll zwischen stiller Linearität und heftigem Ausbruch zum Einsatz brachte. Da gab es allerdings auch ausgewalzte, schmusige Stücke, deren Überlänge noch viel deutlicher jenes ranzige Pathos decouvrierte, das Guidi womöglich für tiefsinnige Poesie hielt, wo es doch eher nach einem von allen gütigen Kreativgeistern verlassenen Ennio-Morricone-Imitator klang.

Das Polit-Kabarett

Dann schon lieber der trocken-ehrliche Gitarrenton von Mary Halvorson. Mit ihrem Quintett gemahnte sie in schräger, stilflexibler Form durchdacht an die cooljazzige Kontrapunktik der 1950er. Und auch der Opener des Festivals, Gitarrist Martin Philadelphy, konnte im Vergleich zu den Flops als gediegener Sänger und Saitenkünstler mit Hang zu prägnanten Statements überzeugen. Wobei nicht jedes dargebotene Stück Substanz aufwies.

Vor Philadelphy das obligate Dank- und Begrüßungsritual der politischen, bisweilen unfreiwillig kabarettistischen Art: Von den Festivalmachern wurde er auch dafür genutzt, von Landeshauptfrau Gabi Burgstaller "ein, zwei Zentimeter mehr" an Subvention zu erbitten. Um das Niveau auch in Hinkunft halten zu können.

Dass Burgstaller witzelte, zwei Zentimeter Subvention würden sich zumindest "in Euro-Münzen" schon ausgehen, will man vorerst nicht als deplatzierte Festivalverhöhnung, eher als Versuch einer hilflosen Pointen-Improvisation deuten ... (Ljubiša Tošić, DER STANDARD, 27.8.2012)