Mailath-Pokorny möchte in der Stadt Geschichte sichtbar machen. Das Deserteursdenkmal könnte auf dem Ballhausplatz oder beim Äußeren Burgtor (re.) errichtet werden.

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"Die Aufarbeitung der eigenen Geschichte bringt ja oft Skurriles zutage."

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STANDARD Sie haben gesagt, dass es noch in dieser Legislaturperiode in Wien eine Gedenkstätte für Wehrmachtsdeserteure geben wird. Es gibt noch immer keinen Standort. Geht sich das aus?

Mailath-Pokorny: Mein Ziel ist es, die Entscheidung bis zum symbolisch wichtigen Nationalfeiertag zu treffen, sodass das Denkmal noch 2013 enthüllt werden kann. Es ist höchst notwendig, dass in der Bundeshauptstadt eines Staates, in dem unzählige Kriegerdenkmäler stehen, auch zumindest ein Denkmal an jene erinnert, die sich im Widerstand gegen das Unrechtsregime unter Existenzbedrohung gegen das Militär entschieden haben. Im Wesentlichen hat sich die Diskussion auf zwei Standorte reduziert: Äußeres Burgtor oder Ballhausplatz.

STANDARD Was spricht gegen den Ballhausplatz als Standort?

Mailath-Pokorny: Das Äußere Burgtor ist in den vergangenen Jahrzehnten in keiner Weise bewusst wahrgenommen worden. Die Vereinnahmung durch die Burschenschaften konnte ja nur deshalb stattfinden, weil bis dahin niemand etwas mit dem Ort anfangen konnte. Drehen wir das doch um und machen das Burgtor offensiv zu einem Ort, wo man sagt: Ja, es gab in der Geschichte zwar Soldaten, die unschuldig waren, die vielleicht nicht den Mut hatten, gegen das Regime aufzutreten und in Armeen umgekommen sind. Aber zum gleichen Teil gedenken wir der Opfer, die für die Freiheit Österreichs gestorben sind. Man soll also am Heldenplatz ruhig fragen können: Welcher Helden gedenken wir eigentlich?

STANDARD Das ist ja Teil des Problems, dass vieles vermischt wird. Und jetzt soll dort noch zusätzlich der Deserteure gedacht werden?

Mailath-Pokorny: Wenn sich die Proponenten des Deserteursdenkmals in der Idee finden können, wäre das positiv, weil das ein inhaltlich gut ausgefüllter Gedenkort wäre. Wenn sie sagen, dass das gar nicht geht, dann wird man das auch erfüllen.

STANDARD Ein Veto wäre möglich?

Mailath-Pokorny: Selbstverständlich.

STANDARD So begeistert wie Sie über die Burgtor-Variante reden: Ist Ihre Entscheidung nicht längst gefallen?

Mailath-Pokorny: Nein! Es gibt absolut gute Gründe, die für den Ballhausplatz sprechen. Es ist sicher ein ganz zentraler Ort des operativen Geschehens der Republik.

STANDARD Die noch lebenden Wehrmachtsdeserteure sind sehr alt. Wäre nicht mehr Eile geboten?

Mailath-Pokorny: Es ist mir wohl bewusst, dass die Zeit drängt. Deshalb bemühen wir uns auch, dass das Denkmal 2013 steht.

STANDARD Für das Denkmal für homosexuelle Opfer des Nationalsozialismus am Wiener Morzinplatz gab es bereits einen Wettbewerbssieger. Warum wird es nicht umgesetzt?

Mailath-Pokorny: Es gibt ja dort eine temporäre Installation. Seine Umsetzung ist dann letztendlich an den Materialien gescheitert.

STANDARD Als Laie gesprochen: Ich prämiere ein Projekt, ohne zu wissen, ob das dann umsetzbar ist?

Mailath-Pokorny: Ja, das habe ich mir nicht nur als Laie, sondern auch als Auftraggeber nicht vorstellen können. Die Bedenken, die verschiedene Magistratsabteilungen hatten, waren nicht zu zerstreuen. Sobald wir das Deserteursdenkmal abgeschlossen haben, werde ich diese Sache angehen. Daneben gibt es noch den berechtigten Wunsch der Februarkämpfer, einen Gedenkort zu haben. Das sollte auch in dieser Legislaturperiode verwirklicht werden.

STANDARD Auch beim Wettbewerb um das Lueger-Denkmal gab es ein Siegerprojekt, das die Figur nach rechts geneigt hätte. Es kommt auch nicht.

Mailath-Pokorny: Ja, weil ich ernst nehme, was das Bundesdenkmalamt sagt. Es lehnt diesen Eingriff ab - aber es wird eine Form der Kontextierung kommen. Der Lueger-Ring wurde in Universitätsring unbenannt. Es geht aber bei allem nicht um Auslöschung, schließlich gibt es noch viele Orte in Wien, die an Lueger erinnern.

STANDARD Welche Straßen werden noch umbenannt?

Mailath-Pokorny: Derzeit werden alle 4500 personenbezogenen Straßennamen untersuchen. Da wird es sehr unterschiedliche Lösungen geben. Ich bin nämlich grundsätzlich dagegen, Straßennamen einfach zu streichen. Es bringt nichts, wenn man so tut, als ob es Geschichte nicht gegeben hätte. Wenn die Historiker die Shortlist vorlegen, wird man darüber nachdenken müssen, wie man damit umgeht. Die Frage ist ja, wie man Geschichte sichtbar machen kann, ohne die Bewohner mit einer negativen Wohnadresse in Zusammenhang zu bringen.

STANDARD Für die jüdischen Friedhöfe gibt es eine Pflegevereinbarung. Warum hat Wien diese noch nicht unterzeichnet?

Mailath-Pokorny: Ich gebe gerne zu, dass das ein Makel ist. Man sollte die Vereinbarung raschestmöglich unterzeichnen. Auf der anderen Seite wurden in den vergangenen Jahren die jüdischen Gräber auf dem Zentralfriedhof renoviert, auch die Sanierung des Friedhofswärterhäuschens am Währinger Friedhof läuft über mein Budget und ist demnächst abgeschlossen; und die Restaurierung der historischen Gräber des alten jüdischen Friedhofs in der Seegasse ist in vollem Gange.

STANDARD Wie erklären Sie sich, dass der Bund Kriegsgräber pflegt, aber jüdische Gräber verfallen?

Mailath-Pokorny: Das hat auch damit zu tun, dass die Friedhöfe nicht Teil der kommunalen Verwaltung sind. Aber ich will nicht den geringsten Anschein einer Ausrede erwecken. Wir sind ja auch erst vor wenigen Jahren draufgekommen, dass es in Wien keine jüdischen Ehrengräber gab - das wurde nachträglich geändert.

STANDARD Wien hat jahrelang das Grab von Engelbert Dollfuß ehrenhalber gewidmet und gepflegt.

Mailath-Pokorny: Die Aufarbeitung der eigenen Geschichte bringt ja oft Skurriles zutage. Für das Grab von Dollfuß gab es nie eine diesbezügliche Widmung, sondern es wurde stets nur angenommen. Ich werde daher im Gemeinderat eine zusätzliche Kategorie zu den Ehrengräbern beantragen, nämlich historische Gräber. Also Gräber für Persönlichkeiten, die die Geschichte Österreichs geprägt haben - ob positiv oder negativ, sei dahingestellt.(Bettina Fernsebner-Kokert, Peter Mayr, DER STANDARD, 28.8.2012)