Mercators Österreichkarte (Detail) aus seinem posthum veröffentlichten Atlas weist noch Ungenauigkeiten auf. Er musste sich auf Angaben des österreichischen Hofkartografen Lazius verlassen.

Foto: Imcos

Verehrer von Gheert de Cremer müssen schon zoomen in Google Maps, um Gangelt überhaupt zu finden. Im 16. Jahrhundert hätten sie es leichter gehabt: Die kleine, heute nordrhein-westfälische Gemeinde war auf den wenigen guten Landkarten dieser Zeit häufig eingezeichnet. Größere, oft bedeutendere Städte fehlten hingegen.

Hintergrund für diese kleine geografische Ungerechtigkeit ist de Cremers Kindheit. Er verbrachte sie teilweise in Gangelt, und so wollte er dieser Kleinstadt wohl einen fixen Platz in den damals besten Bildern Europas verschaffen. Es war also nicht einmal einer der wichtigsten Kartografen der Neuzeit davor gefeit, die Welt als Landkarte eigener Sentimentalität zu zeichnen.

2012 ist diese eitle Episode des Krämersohnes längst vergessen -heuer wird der 500. Geburtstag von Gerardus Mercator gefeiert. So nannte sich der Mathematiker, Geograf, Philosoph, Theologe und Kartograf Gheert de Cremer schließlich ab 1530 lateinisiert.

Natürlich ist es dabei den Belgiern ein Bedürfnis, Mercators Geburtsort Rupelmonde bei Antwerpen zu erwähnen. Und freilich haben Deutsche dringlich auf Duisburg verwiesen. Immerhin lebte Mercator dort 42 Jahre und schuf an der neu gegründeten Universität so ziemlich alles, was seine Bedeutung bis zum heutigen Tag begründet. Aber warum schaltet sich demnächst auch noch Wien ein?

Das Österreichbild

Beim 30. Symposium der International Map Collectors' Society zu Ehren des Geografen (siehe Wissen) will man nicht allzu sehr darauf pochen, was den antiquarischen Mercator in Wien ausmacht. So besitzt etwa das Globenmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek ein von ihm gefertigtes Paar aus einem Erd- und einem Himmelsglobus aus den Jahren 1541 und 1551. Und andererseits besaß Mercator bereits damals eine Vorstellung davon, wie Österreich zu dieser Zeit ausgesehen hat. Sein Kartenblatt Austria archiducatus beruht dabei auf den Inputs des etwas jüngeren Wolfgang Lazius. Der Leibarzt und Kartograf von Ferdinand I. schuf 1561 den ältesten österreichischen Atlas, ohne diesen so zu nennen. Die erstmalige Verwendung des Worts Atlas für ein Buch mit kommentierten Karten wird nämlich Mercator zugeschrieben.

"Lazius hat als Kartograf ziemlich schlampig gearbeitet, weil er zu viele andere Verpflichtungen hatte", erklärt Petra Svatek, Historikerin an der Uni Wien. Und Mercator hätte daraufhin eben versucht, die Vorlagen an seine höheren kartografischen Standards anzupassen. Allerdings gehörten diese Fingerübungen für Kupferstecher freilich nicht zu seinen eigentlichen Verdiensten.

"Ohne Mercator wäre eine ganze Reihe von Entdeckungen anders verlaufen", meint etwa Andreas Riedl vom Institut für Geografie und Regionalforschung an der Uni Wien. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Mit seiner Weltkarte von 1569 schuf Mercator erstmals eine winkeltreue zweidimensionale Abbildung des Erdballs. Das bedeutet, er übertrug die Krümmung des Ellipsoids so auf Papier, dass Schiffe nach diesen Karten navigieren konnten.

Projektion und Weltbild

Benutzt wird die als Mercator-Projektion bekannte Darstellung bis heute. Mit der Einführung des Koordinatensystems UTM (Universal Transverse Mercator) durch das US-Militiär erlebt der Kartograf sogar eine Renaissance. Dieser Standard soll künftig vor allem in der Landvermessung weltweit divergierende Formate ablösen.

Mercators Übertragung der drei Dimensionen auf Papier hat allerdings auch einen Nachteil: Polnahe Gebiete erscheinen bei dieser Darstellung größer als Länder, die in Äquatornähe liegen. Die Mercator-Projektion vermittle daher ein eurozentristisches Weltbild, weil sie "Entwicklungsländer" fälschlicherweise grafisch zu klein darstelle, lautet eine seit den 1970er-Jahren geäußerte Kritik.

Wer Google Maps benutzt, sieht sofort, was gemeint ist, da der Dienst die Mercator-Projektion benutzt. Allerdings hat dies vor allem technische Gründe: Es gibt bis heute nichts Besseres als diese Projektion, um in eine moderne, digitale Karte zu zoomen. Selbst bei starker Vergrößerung bleibt der Winkel von Straßen zueinander dadurch erhalten.

Einig sind sich Svatek und Riedl darüber, dass Kartografen zu jeder Zeit auch ein politisches Weltbild schufen. Sie stimmen aber ebenso darin überein, dass der geografische Zweck gewissermaßen die grafischen Mittel heiligt. Ad usum navigantium, also zum Zweck der Navigation, hatte Mercator die erste winkeltreue Weltkarte geschaffen. Und tatsächlich: Ohne diese Vorarbeit wäre heute selbst die GPS-Navigation kaum denkbar. (Sascha Aumüller, DER STANDARD, 29.8.2012)