Es gab rührende Momente mit Liedern, die Toten gewidmet wurden. Es gab beim Konzert von Patti Smith aber auch heftigen Umgang mit der Gitarre.

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Wien - Auch wenn es manche Irokesenträger nicht gerne hören, darf sich Patti Smith gemäß der alten Erzähltradition als Godmother of Punk bezeichnen. Das klingt schon amtlich, und natürlich schüttelt die 65-jährige Smith, die einmal mehr für eine ausverkaufte Arena sorgte, die kleinen Gesten der Aufmüpfigkeit noch immer mit Leichtigkeit aus den Ärmeln ihres bereits zum Markenzeichen gewordenen schwarzen Jacketts. Jedes Ausspucken der Künstlerin sorgt für Begeisterung.

Zugleich überzeugt die US-Amerikanerin auch in der Rolle der so schrulligen wie liebenswerten Tante. Wenn sie ausgerechnet bei ihrer aktuellen Single "April Fool" den Einsatz verpatzt, lässt dieser Fauxpas ihre ohnedies hohen Sympathiewerte endgültig bis zum Mond schießen. Nahm ihr Tanzstil bereits in den rotzigeren Jugendjahren bei genauer Nachbetrachtung den der Teletubbies vorweg, so hat die Sängerin auch die Kontaktaufnahme jener televisionären Plagegeister mittlerweile perfekt verinnerlicht: Winke, winke! Immer wieder wachelt sie freudestrahlend ins Auditorium, begeistert grüßen die Zuschauer zurück. Und womit? Mit Recht.

Auftritte der Veteranin sind ein Fest der Liebe, wenn auch frei von Überraschungen. Da es für den Großteil des durchwegs reiferen Publikums nicht das erste Konzert der Sängerin sein dürfte, ist ein Smith-Konzert wie das Wiedersehen mit einer verehrten, ja, Tante. Für diese scheint es umgekehrt nicht viel anders zu sein, verkündet Smith doch gleich zu Beginn, wie sehr es sie freue, erneut in der Arena spielen zu dürfen.

Nostalgische Höhepunkte

Mit "Fuji-san" steht zwar ein neuer Song am Beginn des Konzerts, in weiterer Folge werden aber auch die Klassiker aufgetischt. "Free Money" von Smiths 1975 veröffentlichtem Debüt "Horses" gerät zu einem mitreißenden Höhepunkt. Hier und beim abschließenden "Rock 'n' Roll Nigger" ist auf der Bühne eine alterslose Leidenschaft zu bewundern, die in anderen Momenten hinter routinierter Gemütlichkeit verschwindet.

Zwischen den Liedern betätigt sich Smith als politische Aktivistin, die für den als "amerikanischen Taliban" bekannt gewordenen John Walker Lindh und für Pussy Riot das Recht zu beten fordert, und als die Toten ehrende Schamanin. Der französischen Schauspielerin Maria Schneider widmet sie den Song Maria, an Christoph Schlingensief geht Beneath the Southern Cross, das Jay Dee Daugherty mit wuchtigen Paukenschlägen ausklingen lässt.

Lenny Kaye, Smiths langgedienter Dienstleister an der Gitarre, nutzt seinen Moment im Scheinwerferlicht, um der vor vierzig Jahren von ihm mitveröffentlichten Garage-Rock-Compilation "Nuggets" mit einem Medley zu gedenken. Animalisch schließlich das Finale, wenn die Band für "Banga", das Titellied des aktuellen, gelungenen Albums, zu bellen beginnt. Der Song ehrt bizarrerweise einen Hund aus Michail Bulgakows Roman "Der Meister und Margarita", dementsprechend kommt er auch, wie Smith laut verkündet, allein mit dem Akkord D - für dog - aus. "One fucking chord!", da ist die Godmother tatsächlich päpstlicher als der Punkpapst.

Zu guter Letzt hat, so viel Zeit muss sein, auch eine Gitarre dran zu glauben. Das gute Stück wird jedoch nicht einfach zertrümmert, sondern bekommt nach und nach die Saiten gezupft, um - winke, winke - eine Nachricht an Neil Armstrong und den Mann im Mond zu schicken. So bekommt bei Tante Patti auch ein destruktiver Akt noch einen freundlich-poetischen Anstrich. (Dorian Waller, DER STANDARD, 30.8.2012)