Auf dem Weg zum schwimmenden Markt: ein Boot mit einem Berg aus frisch gepflückten Rambutan.

Foto: Wojciech Czaja

Der Mekong ist nicht nur Verkehrsstraße, sondern auch Lebensraum. Ein Großteil der Menschen lebt direkt auf dem Wasser.

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Immergrünes Paradies: Zwei Drittel der Bevölkerung des Mekong-Deltas leben von Fischerei und Reisanbau.

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Auf den Märkten jedoch sind die Früchte am häufigsten zu sehen. Verkauft wird von Boot zu Boot.

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Von Wien nach Ho-Chi-Minh-Stadt mit Emirates über Dubai oder mit Aeroflot über Moskau. Von dort weiter mit dem Bus nach Vinh Long. Auf der Insel An Binh gibt es zahlreiche Möglichkeiten, privat zu wohnen, zum Beispiel bei Ngoc Sang, Tel. +84 703 858 694 oder +84 909 201 828. Weitere Infos unter: mekongdeltatravel.com.

Grafik: DER STANDARD

"Rambutan, Rambutan! Ein Kilo Rambutan nur 5000 Dong!" Ein kurzes, neugieriges Lächeln genügt, schon quetscht die Marktfrau einen halben Ast mit einigen Dutzend dieser stacheligen roten Früchte in einen Sack und hält diesen erwartungsvoll übers Wasser. Jetzt heißt es rudern. Ein paar Boote weiter gibt's frische Bananenstauden, schillernd zwischen Gelb und Grün, ums Eck dann kriegt man Büschel voll von kleinen, braunen Longans. Bis die Ingredienzien für den morgendlichen Vitaminschub zusammengerudert sind, legt man locker ein paar gefühlte nautische Meilen zurück.

Die schwimmenden Märkte in Cái Bè, Cái Rang und Phong Diên gehören zu den wichtigsten und geschäftigsten Handelsorten im Mekong-Delta. Tag für Tag schippern Obsthändler, Reisbauern und Fischer von weit her in die schwimmenden Kleinstädte, um auf der Wasseroberfläche ihre Waren feilzubieten. Start ist um sechs Uhr morgens. Zu Mittag sind die meisten Boote bereits leer. Die weniger glücklichen Obst- und Gemüsekapitäne harren noch etwas länger aus oder tuckeln mit halber Fracht wieder retour.

"Ich kann gar nicht sagen, seit wann es die schwimmenden Märkte schon gibt", sagt Thanh Ngoc. Die 23-Jährige lebt schon seit ihrer Geburt im Delta. "Jedenfalls sind sie unsere Lebensader. Hier finden wir alles, was wir zum täglichen Leben benötigen. Die Nahrungsmittel sind billiger und frischer als in der Stadt. Und außerdem sind sie für die meisten Bewohner schneller zu erreichen."

Der Mekong, der in Tibet entspringt und sich durch fünf Länder windet, ehe er sich schließlich in Vietnam ins Südchinesische Meer ergießt, ist einer der größten und wasserreichsten Flüsse Asiens. Und er ist eines der wichtigsten Biotope der Welt. Ein Highlight sind die Süßwasserrochen, die bis zu vier Meter Spannweite erreichen. Sie bleiben unseren Augen verborgen. Ansonsten gibt es hier 20.000 Pflanzenarten, 850 Fischarten, 800 Reptilienarten und mehr als 1200 Vogelarten. Artenreicher ist nur noch der Amazonas, versichert der State of the Basin Report 2010, herausgegeben von der Mekong River Commission.

Vor allem aber ist der Mekong Heimat für viele Menschen, die an seinen fruchtbaren Ufern wohnen und arbeiten. Allein im Mekong-Delta, das mit 39.000 Quadratkilometern fast halb so groß ist wie Österreich, wird ein Großteil der vietnamesischen Reisproduktion abgewickelt. Damit ist Vietnam nach Thailand - und noch vor Südkorea und China - der zweitgrößte Reisexporteur der Welt. Zu verdanken ist dies dem schlamm- und mineralhältigen Wasser des Mekong.

"Zeit für ein Frühstück, findest du nicht?" Thanh Ngoc blickt kurz um sich. "Geradeaus und dann links. Da vorne ist es schon!" Die Orientierung zwischen den vielen, bis zu 15 Meter langen Sampans, auf denen die Verkäufer geschickt zwischen Melonen- und Ananasbergen hin- und herbalancieren, ist gar nicht so schwer. Man muss nur auf die langen Holzstangen achten, die wie dünne Segelmaste nach oben ragen. Die aufgespießten Obst- und Fischtrophäen geben Aufschluss über die Verkaufsware am Boot. Nichts anderes als Werbereklame auf Mekongisch. Vorne links dann das Ziel unserer Ruderei: eine kleine Metallschüssel, die am Ende eines Steckens im Himmel baumelt. Das unmissverständliche Zeichen für "Pho".

Das Einmaleins der vietnamesischen Suppenkultur: je strenger die Dämpfe, desto schmackhafter das Mahl. Durch die omnipräsente, recht penetrant riechende Fischsauce, die in keiner Pho fehlen darf, kann sich eine europäische Nase auch schon mal beleidigt abwenden. Hier in Cái Bè ist es besonders schlimm. Gekocht und angerichtet wird in der Hocke: Reisnudeln, Sojabohnensprossen, Frühlingszwiebel, Minze, Koriander, ein paar handgerissene Brocken Fisch, ein ordentlicher Schöpfer Frischbrühe mit einem ordentlichen Schuss Fischsauce, und zur Krönung eine Handvoll Erdnüsse. Als hätte man nicht schon damit gerechnet: Der Gaumen ist entzückt.

"Das Leben im Mekong-Delta ist sehr vielfältig", erklärt Chin Phan Ván. Gemeinsam mit seiner Frau, einer Yoga-Lehrerin, lebt der Grafikdesigner auf einem Hausboot in der Nähe von Vinh Long. "Natürlich leben in den schwimmenden Dörfern vor allem Bauern, Händler und Handwerker. Aber nicht nur! Dadurch, dass sich der Fluss hier so stark verzweigt, sind die Städte und Dörfer miteinander sehr gut vernetzt. Selbst wenn man in der Kreativbranche arbeitet, ist es kein Problem, auf dem Wasser zu leben. Ich bin von diesem Lebensstil jedenfalls begeistert."

Auch Sau Six kann dem immergrünen Delta etwas abgewinnen. Früher lebte die 62-jährige Hausfrau in der Großstadt, doch vor 43 Jahren folgte sie ihrem Mann und den Eheringen und lebt seitdem auf einer kleinen Insel im Flussdelta. "Ganz ehrlich? Am Anfang habe ich mich gesträubt, doch mittlerweile sehe ich, wie schön das Leben hier ist." Seit die Kinder aus dem Haus gezogen sind, vermietet sie einige der Zimmer an Touristen. Man wohnt billig, isst hervorragend und kann sogar den frustrierenden Versuch unternehmen, sich in vietnamesischer Aussprache zu üben.

Doch der Tourismus hat auch seine Schattenseiten. Die natürliche Balance aus Kaufen und Verkaufen auf den schwimmenden Märkten ist längst gestört. Statt Obst gibt's immer öfter Souvenirs, statt Fischsuppe werden manchmal schon Sandwiches und Pommes frites übers Wasser gereicht. "Von den Touristenbooten und vom Fotografiertwerden alleine können wir nicht leben", sagt Thanh Ngoc, schält ein paar Rambutan, schmeißt die Schalen ins Wasser. Der Markt von Cái Bè wird von Jahr zu Jahr kleiner. Für viele Händler zahlt sich der Verkauf an Endkunden schon lange nicht mehr aus. Sie beliefern Lebensmittelgeschäfte und Großmärkte an Land. Und es wird nicht mehr lange dauern, da wird auch der aufdringliche Geruch von Fischsauce in den Fluten untergegangen sein. (Wojciech Czaja, Rondo, DER STANDARD, 31.8.2012)