Mitt Romney ist Barack Obamas größte Stärke. Der republikanische Kontrahent ums Weiße Haus bietet dem US-Präsidenten derzeit sehr viel Angriffsfläche. Gleichzeitig wird dadurch aber auch Obamas größte Schwäche sichtbar, denn eigentlich sollte der Präsident mit eigenen Inhalten glänzen. 

Dubiose Finanzpraktiken rund um die Investmentfirma Bain Capital, außenpolitische Patzer à la Jerusalem, skurrile Sidekicks wie Todd Akin oder der dreckige Harry mit seinem leeren Stuhl: Barack Obamas Wahlkampfteam könnte sich wie bisher auf Negative Campaigning konzentrieren und die Schwächen Romneys ausführlich ausnützen. Er könnte dem Republikaner weiterhin eine Politik vorwerfen, die keine neuen Ideen beinhalte und seiner Meinung nach "eher für das vergangene Jahrhundert geeignet" ist. Obamas Wiederwahl würde sich auf diese uncharmante Art und Weise vermutlich sogar knapp ausgehen. Oder auch nicht. Denn über dem grau melierten Haupt des Präsidenten schwebt die Arbeitslosenrate als Damoklesschwert, ein zartes Rosshaar hält es noch vom Fall ab und könnte laut aktuellen Umfragen über Erfolg oder Misserfolg am 6. November entscheiden. 

Am Freitag werden die neuesten Arbeitslosenzahlen übermittelt, eine gravierende Verbesserung der bisher 8,3 Prozent an Beschäftigungslosen ist eher unwahrscheinlich. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist es noch keinem US-Präsidenten gelungen, bei einer derart hohen Arbeitslosigkeit wiedergewählt zu werden, Jimmy Carter und George Bush senior etwa verloren mit Quoten unter acht Prozent ihr Amt.

Zudem kann Obama nach vier Jahren im Weißen Haus nicht zwingend große politische Erfolge vorweisen. Natürlich hat er von George W. Bush ein ausgesprochen schweres Erbe angetreten, natürlich hat die weltweite Wirtschaftskrise eine eminente Rolle gespielt, und natürlich haben die Republikaner nahezu jedes Projekt des Präsidenten mit der Trotzigkeit eines Kindes bekämpft, das nicht das gewünschte Spielzeug erhält. Doch das interessiert in Wahlkampfzeiten niemanden. Hier geht es um harte Zahlen und nackte Tatsachen. Guantanamo, Afghanistan und vor allem die schlechte Wirtschaftsbilanz wiegen schwerer als Bin Ladens Eliminierung, die Rettung von General Motors oder die Gesundheitsreform, die in der Bevölkerung sowieso höchst umstritten ist.

Es sieht also düster aus im Hause Obama, auf der Democratic National Convention in Charlotte wird nun der große Befreiungsschlag erwartet. Er wird bei der Rede am Donnerstag wieder seine Fähigkeit ausspielen, die Menschen zu begeistern. Doch allein mit Charisma kann er diese Wahl nicht gewinnen, zu schwer wiegen die aufgezählten Hypotheken. Vielmehr muss er die Attacken auf Romney reduzieren und seine Rede mit möglichst konkreten Lösungsvorschlägen unterfüttern, vor allem zur Verbesserung der Wirtschaftslage und zur Beendigung des Afghanistan-Krieges. Damit wieder ein kleiner Funke "hope" glimmt. (Kim Son Hoang, derStandard.at, 4.9.2012)