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100.000 weibliche Läuse ergeben ein Kilo Laus, aus denen man 50 Gramm rotes Pigment mit der Farbbeschreibung Karmin gewinnt.

Foto: AP/Volker Hartmann

100.000 weibliche Läuse ergeben ein Kilo Laus, aus denen man 50 Gramm rotes Pigment mit der Farbbeschreibung Karmin gewinnt. Diese Königin aller Pigmente war tonangebend beim Dunkelrot imperialer Gewänder, beim klassischen Terrassen-Drink aus dem Hause Campari. Und bis heute ist das Rot der Karminsäure aus dem Fett der Cochenilleschildlaus das Maß aller Dinge.

Allerdings hat sich das Lausklauben zur Farbgewinnung weitgehend erledigt. Zu mühselig, zu kompliziert in der Weiterverarbeitung, zu instabil und daher zu schwierig in die chemischen Anforderungen moderner Kosmetika einzubauen, erklärt Sylvie Guichard, Chefin der Wissenschaftskommunikation der L'Oréal-Labors, wo die Formeln für Produkte aller Marken des Kosmetikmarktführers entwickelt werden.

Biotechnologen und Chemiker

Also wird das roteste aller Pigmente im Labor nachgebaut. "Wenn wir das perfekte Rot suchen, orientieren wir uns immer noch am Karmin." Der Weg dorthin ist in erster Linie mit Eisenoxid gepflastert, einer unlöslichen Substanz, die es in vielen Farbnuancen gibt. Weitere Hauptrollen spielen anorganische Partikel, die das Pigment tragen, oder Perlenpartikel, die für Reinheit und Stabilität verantwortlich sind. Ist die Farbwerdung einmal so weit gediehen, stehen die Biotechnologen und Chemiker Seite an Seite am Labortisch und legen es zum Vergleich - genau - neben das Karmin aus der Laus.

Im Gegensatz zum organischen Läuserot handelt es sich bei den meisten Farbstoffen auf dem Labortisch um Hybridpigmente anorganischer Provenienz, die sich - mit Pigmenten verschiedenster Nuancen ummantelt, mit Glanz, Schimmer und Reflexen ausgestattet - anschmiegsam und farbstabil in Öle, Emulsionen, Fluids aller Art integrieren lassen. "Hybridpigmente sind die Gegenwart und wohl auch die Zukunft in der Kosmetikindustrie", ist sich Guichard sicher. "Man muss sich die Entwicklung eines Hybridpigments wie das Erfinden eines Kochrezepts vorstellen." Und das Labor ist die Versuchsküche. Das Gericht selbst wird in den nötigen Mengen in Fabriken, die diese Rezepte für den Auftraggeber maßschneidern, in die chemische Praxis umgesetzt.

Künstlerisches Gefühl

Im Falle von L'Oréal ist das ein japanischer Hersteller. Der Kontakt kam im Zuge des Kaufs der Marke Shu Uemura zustande. Jetzt produziert er die Farbe für den ganzen Konzern. Was aber nicht heißt, dass in allem, was aus dem L'Oréal-Imperium kommt, dasselbe drinsteckt. Je nach Ausrichtung der Marke wird über Inhaltsstoffe entschieden. "Für die Apotheken-Marke La Roche-Posay etwa werden andere Inhaltsstoffe gewählt als für Lancôme." Beim Farbengroßhändler könne sich die Kosmetikindustrie nicht versorgen. "Die größte Nachfrage kommt aus der Verpackungs- und der Autoindustrie. Die haben natürlich vollkommen andere Bedürfnisse."

Für den Herbst und Winter haben die meisten Labors die Farbe Lila in all ihren Nuancen erkoren. Dafür wurde das Rot mit allerlei Beilagen versehen. Mit Perlenpartikeln, metallischem Glanz oder weiteren Farbpigmenten, die man beim ersten Ansehen des Violetts nicht vermuten würde, wie etwa Chromgelb. So viel Farbenspiel erfordert Gefühl in den Chemiker-Fingerspitzen. Künstlerisches Gefühl. "Viele der Biotechnologen im Kosmetiklabor sind kunstinteressiert oder haben eine einschlägige Ausbildung", erklärt Sylvie Guichard. Und den Ehrgeiz, das perfekte Rot zu finden. Wie das von der Laus. (Bettina Stimeder, Rondo, DER STANDARD, 7.9.2012)