In der Schlussphase seiner zweiten Amtsperiode entpuppt sich Kommissionspräsident José Manuel Barroso als Politikertyp, den man acht Jahre lang vergeblich gesucht hat: als echter Kämpfer.

Wer Verantwortung verspüre, dürfe sich von Populisten, von EU-skeptischen Vereinfachern, von "extremistischen Kräften" nicht an die Wand drücken lassen, donnerte er bei seiner "Rede zur Lage der Union" im Europaparlament ins Plenum. Im Gegenteil: In der größten Vertrauenskrise müssten die traditionellen Parteien und die Bürger endlich aufstehen, die nächste Stufe der Entwicklung gehen. Sie müssten "eine echte europäische Demokratie" aufbauen, mit einem EU-Parlament als Kernzelle - ohne Nationalstaaten gleich in den Kübel der Geschichte zu werfen.

Ein guter Plan. Was ist da passiert? Barroso war lange als fader Vom-Blatt-Leser berüchtigt. Wenn man ins Kalkül zieht, dass der konservative Portugiese als ganz junger Student gegen die damalige Diktatur in seinem Land gekämpft hat, klart das Bild etwas auf. Er fürchtet den möglichen Zerfall, wenn die Gemeinschaft sich nicht nach vorn bewegt - samt Abbau von Demokratie, wie das in dem einen oder anderen EU-Krisenland sichtbar wird. Der Mann, der Überblick und Einblick in Europa hat wie sonst kaum jemand, spürt, dass eine friedliche, freie und soziale Union keine unumstößliche Größe ist. Die Entscheidung darüber fällt in ein, zwei Jahren. Da heißt es kämpfen. (Thomas Mayer, DER STANDARD, 13.9.2012)