Es ist einer dieser seltenen Morgen in der Bahia Limon. Unter einer dunkeln Wolkenbank geht gerade die Sonne auf und taucht das kaum bewegte Karibische Meer in einen goldenen Schimmer. Der Tag verspricht sonnig und trocken zu bleiben. Eine Seltenheit auf der karibischen Seite des Panamakanals, wo jährlich durchschnittlich drei bis vier Meter Regen fallen. Rundherum, wohin man auch schaut, liegen Schiffe auf Reede. Kleine Bananendampfer, große Containerfrachtschiffe, schlanke Tanker, wuchtige Roll-on-roll-off-Schiffe. Die Bahia Limon ist der Wartesaal zum Panamakanal.
Die letzten Regenwolken verziehen sich gerade ins Landesinnere, als ein Ruck durch die Bahia Castillo geht. Das dumpfe Rumpeln vom Bug des Containerfrachters kündet davon, dass Kapitän Karol Swiec den Befehl "Anker auf" gegeben hat. Zur Feier des Tages hat Swiec eine frischgebügelte Uniform aus dem Kasten geholt. Obwohl er schon seit mehr als 20 Jahren zur See fährt, ist die rund 80 Kilometer lange Passage durch den Panamakanal immer noch etwas Besonderes.
"Der Bau des Panamakanals war ein historisches Ereignis und ein menschliches Drama, vergleichbar mit einem Krieg", schreibt der US-Historiker David McCullough im Buch The Path Between the Seas" Als Folge der Errichtung des Kanals, die von 1880 bis 1914 gedauert hatte, wurde eine Nation, Frankreich, in ihren Grundfesten erschüttert, eine andere, Kolumbien, um ihr wertvollstes Eigentum, die Landenge von Panama, gebracht und die Rolle der Vereinigten Staaten als globale Supermacht besiegelt. Wie ein Krieg forderte der Bau des Kanals zahlreiche Menschenleben. Geschätzte 20.000 Arbeiter starben an Malaria und Gelbfieber, aber auch bei Hangrutschen und Dynamitunfällen.
Für den glorreichen Erbauer des Suezkanals, Ferdinand de Lesseps wurde der Panamakanal zum persönlichen Desaster. Lesseps ging davon aus, dass der Kanal über die Landenge von Panama ebenso auf Meeresspiegelniveau gebaut werden konnte wie der Suezkanal, ein folgenschwerer Irrtum. Aufgrund der Gezeitenunterschiede zwischen Atlantik und Pazifik war Meeresspiegel nicht gleich Meeresspiegel. Das größte Problem stellte allerdings die Geografie der Landenge dar. Ein Gebirgsrücken musste überwunden, ein Fluss, der in der Regenzeit zu einem reißenden Strom anschwoll, bezwungen werden. Als Lesseps erkannte, dass Schleusen notwendig sein würden, war es schon zu spät, die Kanalgesellschaft pleite und die Grande Nation vom bis dahin größten Finanz- und Korruptionsskandal erschüttert.
Erhebender Sprudel
Langsam setzt sich die Bahia Castillo in Bewegung. Am Ende der Bahia Limon taucht die erste Schleuse auf - ein grüner Hügel, auf den zwei Wasserstraßen in drei Stufen hinaufführen. Auf der Brücke gibt der Lotse dem ersten Offizier Anweisungen, wie er das 254 Meter lange und 32,20 Meter breite Schiff in die Schleusenkammer zu steuern hat: "Midship, Midship!". Die Kammern der Schleuse sind nicht viel größer als der Frachter selbst: 305 Meter lang und 33,5 Meter breit. Kleine Lokomotiven und ein Schlepper sorgen zusätzlich dafür, dass der Frachter nicht an den Betonwänden entlangschrammt. Die Schleusentore schließen sich, und Wasser aus dem Gatúnsee wird in die Kammer gelassen.
26 Millionen Gallonen Süßwasser (mehr als 90 Millionen Liter) werden bei der Schleusung eines einzigen Schiffes ins Meer gespült. Mit dem hereinsprudelnden Wasser hebt sich das Schiff langsam. 26 Meter geht es nach oben, aber davon spürt man auf der Brücke in 45 Meter Höhe kaum etwas. Nach einer Stunde und zwanzig Minuten sind die drei Stufen überwunden. Die Schleusentore öffnen sich. Ein riesiger See erstreckt sich nun dort, wo sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts das verschlafene Dorf Gatún befand. Nach dem Bau des Staudamms versanken Bambushütten und die Gleise der früheren Panama Railroad in den Fluten. Es dauerte ganze sieben Jahre bis der Gatúnsee vollgelaufen war.
Kopfzerbrechen für Konstrukteure und Kapitäne
Die Bahia Castillo schiebt sich gemächlich an zahlreichen kleinen Inseln, auf denen saftig grüner Urwald wuchert, vorbei. Highlight der Fahrt durch den Dschungel ist die Insel Barro Colorado - ein Naturreservat und Forschungsstation der Smithsonian Institution. Die Schreie der dort heimischen Brüllaffen und das Zwitschern der zahlreichen Vögel lassen sich an Bord allerdings nur erahnen. Das rhythmische Stampfen der Schiffsmotoren übertönt alle anderen Geräusche.
El Niño macht die Schleusen dicht
Bei Gamboa verengt sich der Kanal schließlich, und die Strömung wird stärker. Auf der linken Uferseite befindet sich die Einmündung des Río Chagres, der den Konstrukteuren damals und den Kapitänen heute viel Kopfzerbrechen bereitet. In der Regenzeit tritt der Fluss oft über seine Ufer. 2010 musste der Panamalkanal das erste Mal in seiner fast hundertjährigen Geschichte sogar ganz gesperrt werden. "El Niño hat das Problem verschärft. Die Regenfälle werden immer stärker, und es kommt zu Hangrutschen", sagt Kapitän Swiec.
Erdrutsche erschwerten Anfang des 20. Jahrhunderts auch den Durchbruch durch den Culebra-Gebirgsrücken, der auf einer Länge von 14 Kilometern abgetragen werden musste. Erst der Einsatz von dampfbetriebenen Schaufelbaggern unter Major David du Bose Gaillard brachte den Durchbruch. Heute ragen die schwarzen Stufen des Gaillard Cut auf beiden Seiten des Kanals wie Pyramiden in die Höhe.
Durch die Pedro-Miguel- und die Miraflores-Schleusen geht es wieder bergab. Als das letzte Schleusentor aufgeht, versinkt die Sonne bereits hinter der Brücke Puente de las Américas, die Nord- mit Südamerika verbindet. Etwa 13 Stunden hat die Bahia Castillo gebraucht, um von einem Ozean zum anderen zu gelangen. Über Kap Hoorn hätte es wohl 45 Tage gedauert. Vor der Bahia Castillo liegt die Weite des Pazifiks. Am wolkenlosen Himmel gehen die ersten Sterne auf. Es ist eine dieser seltenen Nächte im Golf von Panama. (Verena Diethelm, Rondo, 14.9.2012)