Schwaz - Großer Bahnhof vor dem neuen Zentrum in der alten Tiroler Silberstadt Schwaz: Regungslos stehen am Donnerstagabend Abordnungen lokaler Vereine von den Burschenschaften bis zur Feuerwehr Spalier, während die Tiroler Schützen dem "landesüblichen Empfang" für den höchsten Repräsentanten des Staates das Feld bereiten. Mit sichtbarem Amüsement wird Heinz Fischer dann den Platz abschreiten und die Erlaubnis zum Abfeuern der Ehrensalven geben.

Das traditionelle Spektakel neben dem nigelnagelneuen Einkaufszentrum wirkte nicht nur wie ein anachronistischer Fremdkörper im 21. Jahrhundert, sondern auch als denkbar größter Kontrast zu jenem Festival, das der Bundespräsident anschließend mit einem flammenden Bekenntnis zur zeitgenössischen Kunst eröffnete.

Es wären aber nicht die Klangspuren Schwaz, wenn sie nicht in ihren Programmen vielfache Brückenschläge vollzögen. Ihr Erfolgsgeheimnis ist es geradezu, die ortsansässige Bevölkerung anzusprechen und für Neue Musik zu begeistern - was seit vielen Jahren, insbesondere in der Zeit des nun scheidenden künstlerischen Leiters Peter-Paul Kainrath, auf faszinierende Weise funktioniert.

Insofern war im Eröffnungskonzert mit dem Tiroler Symphonieorchster Innsbruck ein Ausschnitt aus der Oper Alice in Wonderland der Koreanerin Unsuk Chin ein idealer Einstieg: ein flottes, filmmusikartiges Stück Musik, das direkt an neoklassizistische Motorik und impressionistische Flächigkeit anschließt.

Dass Chin, die als Composer in Residence im Mittelpunkt des diesjährigen Korea-Schwerpunkts steht, auch ganz anders kann, zeigte am Ende des Abends die österreichische Erstaufführung von Su. Hier verschmolz die von Wu Wei gespielte solistische Mundorgel Sheng mit dem von Wen-Pin Chien akribisch geleiteten Orchester zu wechselnd dimensionierten, oszillierenden Räumen, bot aber nicht nur ihre üblichen, langgezogenen Klänge, sondern wurde auch als überraschend grooviges Requisit eingesetzt.

Gelöstheit und Hektik

Dazwischen hatten zwei Österreicher ihren Auftritt, die sich diesmal - wenn auch eher im Verborgenen - beide auf Musik der Klassik bezogen. In Tetraedrite (UA) von Georg Friedrich Haas ist es ein Fragment von Mozart, das inmitten seiner eigenen Klangsprache herumspukt: Ansonsten ergeht sich das Stück in lange aufgefächerten, atmenden Obertonakkorden von größter Gelöstheit. Rundherum herrschen aber unerbittliche Gespanntheit und Verdichtungsprozesse mit schwindelerregender Sogwirkung.

Und Johannes Maria Staud nimmt in seinem dicht gearbeiteten, hektisch wirbelnden Maniai (ÖEA) auf die Kompositionstechnik Beethovens Bezug - ein hurtig-virtuoses Panoptikum souverän gehandhabter Orchestereffekte.

Ähnlich kontrastreich dürfte das Festival auch in den kommenden Wochen weitergehen: Neben dem koreanischen Schwerpunkt und einem Fest für John Cage beinhaltet das Programm auch wieder etliche unkonventionelle Vermittlungsangebote. (Daniel Ender, DER STANDARD, 15./16.9.2012)